Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
Paige.«
Schlagartig wurde mir klar, was hier passierte. Mom benutzte die Filme nicht, um über die Vergangenheit hinwegzukommen, sondern um sie künstlich wiederzubeleben.
Ihr Zustand machte mir solche Sorgen, dass ich die Erwähnung von Simon fast überhörte. »Das halte ich für keine gute Idee.«
Sie starrte mich an. »Wieso denn nicht?«
»Weil ja wohl ziemlich klar ist, um was es eigentlich geht. Glaubst du wirklich, dass du dich besser fühlst, wenn du alles Mögliche veranstaltest, was Justine gefallen hätte?«
»Dein Vater ist in seinem Büro«, fauchte sie. »Schließlich wolltest du doch mit ihm sprechen, als du nach Hause gekommen bist, stimmt’s? Nicht mit mir.«
Ich wich zurück und bemerkte erst jetzt die Taschentuchschachtel neben ihrem Arm und die feuchten Papierknäuel überall auf dem Tisch. »Äh, okay. Tut mir leid.«
Meine Besorgnis verwandelte sich schnell wieder in Wut, als ich mich Dads Büro näherte. Moms Zustand war seine Schuld. Zwar hatte Justines Tod ihre Krise verursacht, aber noch immer war ich der Meinung, dass sein Seitensprung mit Charlotte Bleu der eigentliche Auslöser war. Sonst wäre ich nicht auf der Welt gewesen, Justine aber schon, und Mom hätte keinen Grund zum Trauern gehabt. Ganz abgesehen davon schien Dad, nachdem er alles kaputtgemacht hatte, sich immer noch kein bisschen zu bemühen, Mom zu helfen.
Ich steigerte mich in diese Gedanken so hinein, dass mein geplantes sachliches Gespräch mit Dad vom ersten Moment an einen ganz anderen Verlauf nahm.
»Wer ist Willa?«
An seinem Computertisch verschluckte sich Dad an einem Getränk und bekam einen Hustenanfall.
Ich ließ die Tür hinter mir zufallen und marschierte auf Dads Tisch zu. »Ich habe dich heute in der Stadt gesehen. Als du angeblich eine Vorlesung hattest.«
»Vanessa«, sagte er mit tomatenrotem Kopf und versuchte den verschütteten Tee mit einer Handvoll Druckerpapier wegzutupfen. »Warum setzt du dich nicht, atmest ein paarmal durch und beruhigst dich? Dann können wir darüber reden, was du angeblich gesehen hast.«
Ich setzte mich tatsächlich, bevor ich in Versuchung kam, ihn zu erwürgen. »Mom plant gerade eine spektakuläre Halloweenparty. Genau wie früher. Und weißt du, warum?«
Seine Hände zitterten, als er das nasse Papier in den Mülleimer warf.
»Weil sie sich ihrer toten Tochter näher fühlen will.« Ich machte eine Pause und wartete, bis er den nächsten Schluck Tee trank. »Ihrer einzigen Tochter.«
Diesmal ließ er die Tasse fallen. Sie prallte von der Tischkante ab und landete auf dem Boden.
»Komisch, Willa hat genauso rutschige Finger. Das muss eine eurer vielen Gemeinsamkeiten sein.«
Er seufzte. »Wer hat dir davon erzählt?«
»Ich finde es wichtiger, wer mir nicht davon erzählt hat.«
Er ließ sich Zeit, die Tasse aufzuheben, dann lehnte er sich zurück und verschränkte die Hände über dem Bauch. »Ich kann verstehen, dass du wütend bist – aber ich hoffe, dir ist klar, dass die Situation sehr kompliziert ist.«
»Und ich hoffe, dir ist klar, dass das eine Untertreibung ist.«
Er hob ergeben die Hände. »Okay, ich habe einen furchtbaren Schlamassel angerichtet. Dafür kann ich mich nur von ganzem Herzen entschuldigen.«
»Wofür genau? Dass du Mom verletzt, Justine und mich angelogen hast, meine Lebensgeschichte in täglichen Häppchen an eine Internetbekanntschaft ausplauderst?«
Er riss die Augen auf. »Wie hast du …«
»Oder dass du dich wieder mit einer anderen Frau triffst? Ausgerechnet jetzt? Nach allem, was passiert ist?«
»Vanessa«, sagte er streng, als sei ich damit zu weit gegangen, und beugte sich zu mir vor. »Ich habe keine Affäre mit Willa. Andere Frauen als deine Mutter interessieren mich nicht. Weil ich sie liebe. Seit über zwanzig Jahren liebe ich sie mit ganzer Seele. Wenn es anders wäre, hättest du die Wahrheit schon viel früher erfahren.«
Mein Herz zog sich zusammen. »Was soll das denn heißen?«
»Das soll heißen, deine Mutter …« Er brach ab und senkte den Kopf. Einen Moment später schaute er wieder auf und fuhr fort: »… sie wollte dich vor der Wahrheit beschützen. Du solltest nicht unter etwas leiden, was nicht deine Schuld war und woran du sowieso nichts ändern konntest.«
»Okay, wie soll ich das jetzt verstehen? Ihr hättet mir tatsächlich nie etwas erzählt? Nie im Leben? Weil es so viel besser für mich wäre, keine Ahnung zu haben, wer ich wirklich bin?«
»Nein, das war nicht meine Absicht. Ich
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