Ocean Rose. Verwandlung (German Edition)
dich tun kann, um dein Leben …«
Vermutlich hätte ich ihn warnen sollen, dass er kurz davor war, mit einem Kellner zusammenzustoßen. Aber da ich meinen Mund hielt, gewann ich zwanzig unbeobachtete Sekunden, in denen er stolperte und sich verschiedene Säfte vom Jackett wischen musste. Ich nutzte die Zeit, um in Höchstgeschwindigkeit loszusausen. Vielleicht konnte ich mich auf der anderen Seite des Raums verstecken.
»Vanessa!«, rief in diesem Moment eine weibliche Stimme hinter mir.
Als ich über die Schulter schaute, stellte ich fest, dass ich von Miss Mulligan verfolgt wurde. Sie schwenkte eine kleine blaue Flagge mit dem Logo der Yale-Universität über dem Kopf. Hinter ihr lief ein weiterer College-Headhunter im Nadelstreifenanzug und mit einer gewagten roten Krawatte. Er lächelte mir bereits breit entgegen, was mich nur umso schneller rennen ließ. Ein Schülergrüppchen als Deckung nutzend, huschte ich im Zickzack durch die umdekorierte Sporthalle. Schließlich kam ich bei der wenig besuchten Ecke für staatliche Colleges an, die das Hawthorne-Direktorat gnädigerweise bereitgestellt hatte, damit unsere wenigen Stipendiumsschüler auch etwas in ihrer Preisklasse vorfanden. Miss Mulligan und der Yale-Typ hatten mich aus den Augen verloren und sich auf unseren Jahrgangsbesten gestürzt.
Ich holte eine Wasserflasche aus meinem Rucksack und trank. Seit meinem gestrigen langen Gespräch mit Dad fühlte ich mich nicht besonders gut. Ich hatte ihm alles über die Marchands und meine letzten Sommerferien erzählt und Online-Artikel des Winter Harbor Herald benutzt, um ihn zu überzeugen. Er wusste nun auch, dass ich gewisse Fähigkeiten von Charlotte geerbt hatte, aber bestimmte beunruhigende Informationen hatte ich weggelassen, zum Beispiel meine Rolle beim Zufrieren des Hafens und die Tatsache, dass mein Körper seitdem verrückt spielte. Auch so hatte unser Gespräch schon mehrere Stunden gedauert. Als ich sein Büro verlassen hatte, war ich so erschöpft und durstig gewesen wie seit Wochen nicht mehr. Am liebsten hätte ich diese PR-Veranstaltung ausfallen lassen, aber sie war Pflicht für alle Schüler des obersten Jahrgangs, und ich wollte nicht noch mehr unerwünschte Aufmerksamkeit erregen, indem ich gegen die Regeln verstieß und mich in Schwierigkeiten brachte.
Außerdem hatte ich auf diese Weise einen Grund, den Nachmittag nicht zu Hause zu verbringen. Zwar fand ich die Veranstaltung peinlich und anstrengend, aber andererseits war Mom immer noch in ihren Familienfilmen vergraben, und Dad hatte sich den ganzen Tag in seinem Büro verschanzt, um alles zu verarbeiten. Da war ich doch lieber in der Schule.
Ich drückte mich am Rand der Turnhalle herum und sah mich vor, den mit Blumensträußen und Zierdecken geschmückten Tischen nicht zu nahe zu kommen. Wir waren angewiesen worden, uns im Gegensatz zu den üblichen strengen Kleidungsvorschriften für diesen Anlass in Schale zu werfen, so dass die ganze Aktion mehr nach einer Cocktailparty aussah. Die meisten aus meinem Jahrgang hatten die Gelegenheit genutzt, um sich mit Designerlabels herauszuputzen. Die Mädchen sahen aus wie auf sexy gestylte Bibliothekarinnen – enge Röcke, weiße Seidenblusen, hohe Absätze –, während die Jungs in dunklen Anzügen und edlen Krawatten auf den Wall-Street-Look gesetzt hatten.
Zuerst hatte ich überlegt, wie immer mit Schuluniformröckchen und Kapuzenpulli zu erscheinen, aber damit wäre ich nur aufgefallen. Um mich möglichst unsichtbar zu machen, hatte ich mich schließlich für eine schwarze Hose, einen schwarzen Rolli und praktische schwarze Schuhe entschieden. Ich hatte mein Haar nicht wie sonst zu einem Pferdeschwanz gebunden, sondern es offen gelassen, damit ich notfalls mein Gesicht dahinter verstecken konnte.
Während ich den Raum umkreiste, sah ich nur einen Schüler, der ähnlich leger gekleidet war wie ich. Er trug Jeans, ein zerknittertes beigefarbenes T-Shirt und eine braune Jacke, die mit ihrem sportlichen Schnitt, Wildlederflicken an den Ellbogen und ausgefransten Ärmeln zwar trendy, aber ganz bestimmt nicht konservativ schick aussah. Das Outfit wurde von schmutzigen Converse-Turnschuhen abgerundet. Der Junge stand bei zwei älteren Männern, die sich miteinander unterhielten und so taten, als sei er gar nicht da.
Parker starrte mit verschlossener Miene ins Nichts und schien tatsächlich ganz woanders zu sein.
»So, das war’s«, schmetterte mir eine Stimme ins Ohr.
Das Salzwasser, das
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