Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres
dem der geschätzte Maler jedem noch so beliebigen Blick, und sei es der eines Kalbes, einen Anstrich von Intelligenz zu schenken verstand. »Und sei es der eines Kalbes« war allerdings ein Ausdruck, der in den Salons für gewöhnlich keine Erwähnung fand.
Plasson hätte noch Jahre so weitermachen können. Gesichter von reichen Leuten gehen nie aus. Aber eines Tages entschied er unversehens, alles hinzuwerfen. Und fortzugehen. Eine ganz bestimmte Inspiration, die er seit Jahren nährte, zog ihn fort.
Ein Porträt vom Meer wollte er malen.
Er verkaufte alles, was er besaß, verließ sein Atelier und machte sich auf eine Reise, die, so viel begriff er, unter Umständen auch endlos werden konnte. Es gab Tausende von Kilometern Küste überall auf der Welt. Es würde keine ganz leichte Sache sein, die passende Stelle ausfindig zu machen.
Den Reportern der Klatschpresse gegenüber, die ihn nach den Gründen für seinen unüblichen Abgang fragten, machte er keine Andeutungen hinsichtlich der Sache mit dem Meer. Sie wollten wissen, was hinter dem Verzicht des größten Meisters vortrefflicher Porträtkunst steckte. Er antwortete ihnen kurz mit einem Satz, der sich von da an immer wieder für die unterschiedlichsten Interpretationen anzubieten schien.
»Ich bin die Pornographie leid.«
Weg war er. Niemand würde ihn je wiederfinden.
Von all diesen Dingen wußte Bartleboom nichts. Er konnte davon nichts wissen. So kam es, daß er dort am Meeresstrand, nachdem die Freundlichkeiten hinsichtlich des Wetters erschöpft waren, bloß um die Konversation in Gang zu halten zu fragen wagte:
»Malen Sie schon lange?«
Auch in diesem Fall war Plasson kurz angebunden.
»Nie was anderes gemacht.«
Jeder, der Plasson so reden hörte, hätte den Schluß gezogen, daß es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder war er unerträglich eitel, oder er war ein Tölpel. Doch auch hier: Man mußte das verstehen. Plasson hatte eine seltsame Eigenart: Er beendete keinen Satz, wenn er sprach. Er brachte es nicht fertig. Er kam nur dann bis zum Ende eines Satzes, wenn dieser nicht mehr als sieben, acht Wörter umfaßte. Sonst verlor er auf halbem Weg die Orientierung. Deshalb bemühte er sich vor allem Fremden gegenüber, sich auf kurze, treffende Sätze zu beschränken. Und darin, das muß man sagen, bewies er Talent. Gewiß waren seine Aussagen dadurch ein wenig vage und unangenehm wortkarg. Aber das war immer noch besser, als ein tölpelhaftes Bild abzugeben: was nämlich immer dann der Fall war, wenn er sich in gegliederte Sätze stürzte oder auch nur in gewöhnliche: er brachte sie einfach nicht zu Ende, nie.
»Sagen Sie, Plasson, gibt es etwas auf der Welt, das Sie zu Ende bringen können?« hatte ihn eines Tages Ann Deverià gefragt, die in ihrem üblichen Zynismus den Kern des Problems durchschaut hatte.
»Ja, unliebsame Unterhaltungen«, hatte er geantwortet, war vom Tisch aufgestanden und in sein Zimmer gegangen. Er hatte, wie schon gesagt, ein Talent für kurze Antworten. Wirkliches Talent.
Auch davon wußte Bartleboom nichts. Er konnte davon nichts wissen. In kürzester Zeit aber erfuhr er es.
Unter der mittäglichen Sonne saßen er und Plasson am Strand und aßen das bißchen Proviant, das Dira ihnen mitgegeben hatte. Die Staffelei steckte wenige Meter von ihnen entfernt im Sand. Über allem der übliche Nordwind.
BARTLEBOOM: »Machen Sie jeden Tag eines von den Bildern da?«
PLASSON: »Gewissermaßen …«
BARTLEBOOM: »Sie haben sicher das ganze Zimmer voll davon …«
PLASSON: »Nein. Ich werfe sie weg.«
BARTLEBOOM: »Weg?«
PLASSON: »Sehen Sie das da auf der Staffelei?«
BARTLEBOOM: »Ja.«
PLASSON: »Fast alle sehen so aus.«
BARTLEBOOM: »…«
PLASSON: »Würden Sie sie aufheben?«
Eine Wolke verdeckt die Sonne. Eine Kälte kommt auf, wie man sie nicht erwartet hätte. Bartleboom setzt seine Wollmütze wieder auf.
PLASSON: »Es ist schwierig.«
BARTLEBOOM: »Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Ich könnte nicht einmal dieses Stück Käse hier zeichnen, es ist mir ein Rätsel, wie Sie so etwas machen können, es ist mir ein Rätsel.«
PLASSON: »Das Meer ist schwierig.«
BARTLEBOOM: »…«
PLASSON: »Es ist so schwer zu erkennen, an welcher Stelle man beginnen soll. Sehen Sie, als ich noch Porträts malte, Porträts von Leuten, da wußte ich, wo ich anfangen mußte, ich schaute in die Gesichter und wußte ganz genau …« (stopp).
BARTLEBOOM: »…«
PLASSON: »…«
BARTLEBOOM: »…«
PLASSON:
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