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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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»…«
    BARTLEBOOM: »Sie haben Leute porträtiert?«
    PLASSON: »Ja.«
    BARTLEBOOM: »Meine Güte, seit Jahren will ich schon ein Porträt von mir malen lassen, ehrlich, das wird Ihnen jetzt albern vorkommen, aber …«
    PLASSON: »Als ich noch Porträts von Leuten gemacht habe, fing ich bei den Augen an. Ich vergaß alles andere und konzentrierte mich auf die Augen, ich studierte sie Minute um Minute, dann skizzierte ich sie mit Bleistift, und das war das Geheimnis, weil, wenn erst einmal die Augen gemalt sind …« (stopp).
    BARTLEBOOM: »…«
    PLASSON: »…«
    BARTLEBOOM: »Was ist, wenn Sie erst einmal die Augen gezeichnet haben?«
    PLASSON: »Dann kommt alles weitere von selbst, es ist, als gruppierten sich all die anderen Teile von allein um den Anfangspunkt herum, man braucht nicht einmal …« (stopp).
    BARTLEBOOM: »Braucht man nicht.«
    PLASSON: »Nein. Man könnte sogar fast darauf verzichten, das Modell anzuschauen, alles geht von allein, der Mund, die Halskurve, sogar die Hände … Wesentlich aber ist, bei den Augen anzufangen, verstehen Sie? Und hier liegt das eigentliche Problem; das Problem, das mich ganz verrückt macht, liegt genau hier: …« (stopp).
    BARTLEBOOM: »…«
    PLASSON: »…«
    BARTLEBOOM: »Haben Sie denn eine Ahnung, wo das Problem liegt, Plasson?«
    Zugegeben, es war etwas mühsam. Aber es funktionierte. Man mußte ihn nur wieder in Gang bringen. Jedesmal von neuem. Mit Geduld. Bartleboom war, wie man aus seinem eigenartigen Gefühlsleben schließen konnte, ein geduldiger Mensch.
    PLASSON: »Das Problem ist: Wo, zum Teufel, sind die Augen des Meeres? Ich werde nie etwas zuwege bringen, solange ich das nicht entdecke, denn da ist der Anfang, verstehen Sie? Die Grundlage für alles, und solange ich nicht begreife, wo er ist, werde ich meine Tage damit zubringen, diese verfluchte Wasserfläche anzustarren, ohne …« (stopp).
    BARTLEBOOM: »…«
    PLASSON: »…«
    BARTLEBOOM: »…«
    PLASSON: »Das ist das Problem, Bartleboom:«
    Ein Wunder: diesmal hatte er von allein weitergeredet.
    PLASSON: »Das ist das Problem: Wo beginnt das Meer?«
    Bartleboom schwieg.
    Zwischen den Wolken kam und ging die Sonne. Es war der Nordwind, immer noch der gleiche, der dieses stille Schauspiel veranstaltete. Das Meer fuhr ungerührt fort, seine Psalmen aufzusagen. Wenn es Augen hatte, schaute es in dem Augenblick woanders hin.
    Schweigen.
    Minutenlanges Schweigen.
    Dann wandte sich Plasson Bartleboom zu und sagte in einem Atemzug:
    »Und Sie … was erforschen Sie denn mit all Ihren komischen Instrumenten?«
    Bartleboom lächelte:
    »Wo das Meer aufhört.«
    Zwei Puzzleteile. Füreinander geschaffen. An irgendeinem Ort im Himmel hatte sie ein alter Herr in dem Augenblick endlich wiedergefunden.
    »Zum Teufel! – Ich wußte doch, daß sie mir nicht abhanden gekommen waren.« »Das Zimmer liegt im Erdgeschoß. Da runter, die dritte Tür links. Schlüssel gibt’s keine. Hier hat niemand welche. In das Buch da sollten Sie Ihren Namen eintragen. Es ist keine Pflicht, aber alle hier machen es.«
    Das Gästebuch wartete aufgeschlagen auf einem Holzpult. Ein frisch bezogenes papiernes Bett wartete auf die Träume neuer Namen. Die Feder des Mannes berührte es kaum.
    Adams.
    Dann zauderte er einen Moment, reglos.
    »Wenn Sie die Namen der anderen Gäste erfahren wollen, können Sie mich fragen. Es ist schließlich kein Geheimnis.«
    Adams blickte von dem Buch auf und lächelte.
    »Dira ist ein schöner Name.«
    Das Mädchen war sprachlos. Instinktiv warf sie einen Blick in das Buch.
    »Da steht mein Name doch gar nicht.«
    »Da nicht.«
    Es war höchstens zehn Jahre alt, dieses Kind. Aber wenn es wollte, konnte es auch tausend Jahre älter sein. Es heftete die Augen geradewegs in die von Adams, und was es dann sagte, sagte es mit einer Stimme, die so schneidend war, daß sie zu einer Frau passen würde, die gar nicht da war.
    »Adams ist nicht Ihr richtiger Name.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    »Und woher wollen Sie das wissen?«
    »Auch ich kann lesen.«
    Adams lächelte. Er bückte sich, nahm sein Gepäck und ging zu seinem Zimmer.
    »Die dritte Tür links«, rief ihm eine Stimme nach, die jetzt wieder eine Kinderstimme war.
    Es gab keine Schlüssel. Er öffnete die Tür und trat ein. Nicht, daß er wer weiß was erwartet hätte. Zumindest aber hatte er erwartet, das Zimmer leer vorzufinden.
    »Oh, verzeihen Sie«, sagte Pater Pluche, wich vom Fenster zurück und strich instinktiv seinen Anzug

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