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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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Unterschied?«
    »Das macht einen Unterschied, Bartleboom, und was für einen. Nehmen Sie nur die Geschichte des siebten Zimmers … ja, die Geschichte mit dem Mann in der Pension, der sein Zimmer niemals verläßt und so weiter, ja?«
    »Na und?«
    »Niemand hat ihn je zu Gesicht bekommen. Er ißt, wie es scheint. Aber das könnte auch nur ein Trick sein. Es könnte auch sein, daß er gar nicht existiert. Eine Erfindung von Dira. Aber für uns gäbe es ihn trotzdem. Abends geht in dem Zimmer das Licht an, hin und wieder hört man Geräusche, ich habe doch selbst beobachtet, daß Sie immer langsamer gehen, wenn Sie da vorbeikommen und versuchen, etwas zu sehen und zu hören … Für uns gibt es diesen Mann.«
    »Aber das stimmt doch gar nicht, und außerdem ist das ein Verrückter, ein …«
    »Es ist kein Verrückter, Bartleboom. Dira sagt, er ist ein Gentleman, ein richtiger Herr. Sie sagt, er trägt ein Geheimnis mit sich herum, das ist alles, aber es ist ein ganz normaler Mensch.«
    »Und das glauben Sie?«
    »Ich weiß nicht, wer er ist, ich weiß nicht, ob er existiert, ich weiß nur, daß es ihn gibt. Für mich gibt es ihn. Und es ist ein Mensch, der Angst hat.«
    »Angst?«
    Bartleboom wackelt mit dem Kopf.
    »Und wovor?« 
     
    »Gehen Sie nicht zum Strand?«
    »Nein.«
    »Sie gehen nicht spazieren, Sie schreiben nicht, sie malen keine Bilder, Sie sprechen nicht, Sie stellen keine Fragen. Sie warten, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Und warum? Warum tun Sie nicht, was Sie tun müssen, und Schluß damit?«
    Adams blickt zu dem Kind auf, das, wenn es will, mit der Stimme einer Frau spricht, und in diesem Moment will es.
    »An tausend unterschiedlichen Orten der Welt habe ich Pensionen wie diese gesehen. Oder auch: ich habe diese Pension an tausend verschiedenen Orten der Welt gesehen. Die gleiche Einsamkeit, die gleichen Düfte, die gleiche Stille. Die Menschen kommen dorthin, und die Zeit bleibt stehen. Für manch einen muß es ein Glücksgefühl sein, nicht wahr?«
    »Für manch einen.«
    »Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich dieses wählen: direkt vor dem Meer leben.«
    Schweigen. »Direkt davor.« Schweigen. »Adams.« Schweigen.
    »Hören Sie auf zu warten. So schwer ist es nun auch wieder nicht, jemanden zu töten.« »Werde ich deiner Ansicht nach da unten sterben?«
    »In Daschenbach?«
    »Wenn ich ins Meer gesteckt werde.«
    »Ach was …«
    »Los, sag mir die Wahrheit, Pater Pluche, ohne Scherz.«
    »Du wirst nicht sterben, ich schwor’s dir, du wirst nicht sterben.«
    »Und wieso weißt du das?«
    »Ich weiß es.«
    »Uff.«
    »Ich hab’s geträumt.«
    »Geträumt …«
    »Also hör zu. Eines Abends will ich schlafen gehen, schlüpfe unter die Decke, und als ich gerade das Licht löschen will, sehe ich, wie die Tür aufgeht und ein Junge hereinkommt. Ich dachte, es sei ein Kellner oder so was. Aber er kommt auf mich zu und sagt zu mir: ›Gibt es etwas, wovon Sie heute nacht gern träumen möchten, Pater Pluche?‹ Einfach so. Und ich sage: ›Von der Komtesse Varmeer beim Baden.‹«
    »Pater Pluche …«
    »Das war doch ein Scherz, klar? Nun gut, er sagt nichts, lächelt ein bißchen und geht raus. Ich schlafe ein, und wovon träume ich?«
    »Von der Komtesse Varmeer beim Baden.«
    »Richtig.«
    »Und? Wie war sie?«
    »Ach, nicht der Rede wert, eine Enttäuschung …«
    »Häßlich?«
    »Eine, die gar keine so gute Figur hat, wie es auf den ersten Blick aussieht, eine Enttäuschung … Jedenfalls … kommt der Junge jeden Abend zu mir. Er heißt Ditz. Und jedesmal fragt er mich, ob ich etwas träumen möchte. Also habe ich vorgestern zu ihm gesagt: ›Ich will von Elisewin träumen. Ich will von ihr als Erwachsener träumen.‹ Ich bin eingeschlafen und habe von dir geträumt.«
    »Und wie war ich?«
    »Lebendig.«
    »Lebendig? Und sonst?«
    »Lebendig. Frag nicht weiter. Du warst lebendig.«
    »Ich … lebendig?« 
     
    Ann Deverià und Bartleboom nebeneinander in einem an Land gezogenen Boot sitzend.
    »Und was haben Sie ihm geantwortet?« fragt Bartleboom.
    »Ich habe ihm nicht geantwortet.«
    »Nein?«
    »Nein.«
    »Und wie soll es jetzt weitergehen?«
    »Ich weiß nicht. Ich glaube, daß er hierherkommen wird.«
    »Sind Sie glücklich darüber?«
    »Ich sehne mich nach ihm. Aber ich weiß nicht.«
    »Womöglich kommt er hierher und nimmt Sie für immer mit.«
    »Reden Sie keinen Schwachsinn, Bartleboom.«
    »Und warum nicht? Er liebt Sie, das haben Sie selbst gesagt, Sie sind

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