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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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ganze Universum von Kopf bis Fuß durchschreiten müssen; statt dessen hatten sie sich nicht einmal suchen müssen, das ist das Unbegreifliche, das einzig Schwierige bestand nur darin, sich zu erkennen, sich zu erkennen, die Sache eines Augenblicks, der erste Blick, und sie wußten es schon, das ist das Wundervolle – all dieses würde man sich in den Ländereien von Carewall immerfort erzählen, damit niemand vergäße, daß man sich nie fern genug ist, um sich zu begegnen, nie – fern genug – um sich zu begegnen – diese beiden waren es, sie waren sich ferner als sonst irgend jemand, und jetzt – schreit Elisewins Stimme in ihrer Seele, bedrängt von der Flut der Geschichten, und Adams weint, als er spürt, wie sie schließlich fortgleiten, die Geschichten, die endlich zu Ende, beendet sind – vermutlich ist die Welt eine Wunde, und jemand näht sie in den beiden Körpern, die sich vereinigen, zusammen – und es ist auch nicht Liebe, das ist das Erstaunliche, sondern Hände und Haut, Lippen, Erstaunen, Sex, Genuß – Trauer, vielleicht – sogar Trauer – Lust – wenn sie es erzählen werden, wird das Wort Liebe nicht vorkommen – tausend Worte werden sie sagen, die Liebe aber werden sie verschweigen – alles schweigt, ringsumher, als unvermittelt Elisewins Rücken bricht und ihr der Geist erblaßt, sie hält den Mann innen fest, ergreift seine Hände und denkt: ich werde sterben. Sie spürt, wie ihr Rücken bricht und wie ihr Geist erblaßt, und siehe, sie wird nicht sterben. 
     
    »Hör mich an, Elisewin …«
    »Nein, sprich nicht …«
    »Hör zu.«
    »Nein.«
    »Das, was hier geschehen wird, wird grauenvoll sein und …«
    »Küß mich, es wird Morgen, sie kommen bald zurück …«
    »Hör mich an …«
    »Sprich nicht, ich bitte dich.«
    »Elisewin …«
    Wie soll das gehen? Wie sagst du es einer Frau wie ihr, was du ihr zu sagen hast, wenn ihre Hände auf dir sind und ihre Haut, die Haut, wie soll man ausgerechnet zu ihr vom Tod sprechen, wie sagst du einem solchen Mädchen, was sie schon weiß, was sie aber trotzdem wird anhören müssen, die Worte, eines nach dem anderen, die man zwar wissen kann, aber doch anhören muß; früher oder später muß jemand sie aussprechen, und man muß sie anhören, sie muß sie anhören, jenes Mädchen, das sagt:
    »Du hast Augen, wie ich sie bei dir noch nie gesehen habe.«
    Und dann:
    »Wenn du nur wolltest, könntest du dich retten.« Wie sagst du es einer Frau wie ihr, daß du dich wohl retten wolltest, mehr noch, daß du sie mit dir zusammen retten wolltest, nichts anderes, als sie zu retten und dich zu retten, ein ganzes Leben lang, aber es geht nicht, jeder hat seinen Weg zu gehen, und in den Armen einer Frau gehst du schließlich gewundene Wege, die du gar nicht richtig verstehst, und wenn es an der Zeit ist, kannst du sie nicht beschreiben, hast nicht die Worte, es zu tun, wohlklingende Worte, dort unter den Küssen und der Haut sind die richtigen Worte nicht vorhanden, und du suchst und suchst sie in dem, was du bist, und in dem, was du gespürt hast, und findest sie nicht, sie spielen immer die falschen Töne, die Musik ist es, die ihnen fehlt, dort unter den Küssen und auf der Haut, das Problem ist die Musik. Schließlich sagst du etwas, und es kommt etwas Armseliges heraus.
    »Elisewin, ich werde nie mehr gerettet sein.«
    Wie sagst du es einem Mann wie ihm, daß ich es jetzt bin, die ihn etwas lehren will, und unter seinen Zärtlichkeiten will ich ihn lehren, daß das Schicksal keine Kette ist, sondern ein Flug, wenn er nur wirklich Lust hätte zu leben, könnte er leben, wenn er nur wirklich Lust für mich empfände, könnte er tausend Nächte wie diese hier haben, statt der einzigen, grauenvollen, der er entgegengeht, nur weil sie auf ihn wartet, die grauenvolle Nacht, und seit Jahren nach ihm ruft. Wie sagst du es einem Mann wie diesem, daß es zu nichts nütze sein wird, sich zum Mörder zu machen, ebenso wie das Blut und der Schmerz zu nichts gut sind, es ist nur eine Art und Weise, kopfüber auf sein Ende zuzurennen, wenngleich die Zeit und die Welt, damit nichts ein Ende nehme, hierauf uns warten, uns rufen, wenn wir nur auf sie hören wollten, wenn er es könnte, wirklich, wahrhaftig, auf mich hören könnte. Wie sagst du es einem Mann wie ihm, daß er im Begriff ist, dich zu verlieren?
    »Ich werde fortgehen …«
    »…«
    »Ich will nicht dabei sein … ich gehe fort.«
    »…«
    »Ich will den Schrei nicht hören, ich will weit weg

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