Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
Vom Netzwerk:
…«
    »Elisewin, ich rede mit dir, was machen wir denn da unten?«
    »Wir werden eine bestimmte Person suchen.«
    »Eine Reise von zwanzig Tagen, um jemanden zu suchen?«
    »Ja.«
    »Teufel noch mal, dann muß es sich wohl geringstenfalls um einen Prinzen handeln, oder was weiß ich, um den König persönlich, um einen Heiligen …«
    »Mehr oder weniger …«
    Pause.
    »Es ist ein Admiral.«
    Pause.
    »Du lieber Gott …« 
     
    Im Archipel von Tamal stieg jeden Abend ein Nebel auf, der die Schiffe verschlang und sie im Morgengrauen vollständig mit Schnee bedeckt zurückgab. In der Meeresenge von Cadaoum zog sich das Wasser bei Neumond stets so weit zurück, daß es eine riesige Sandbank freigab, die von sprechenden Muscheltieren und giftigen Algen bevölkert war. Vor Sizilien war auf hoher See eine Insel versunken, dafür waren zwei andere, die auf keiner Karte verzeichnet waren, in geringer Entfernung davon aufgetaucht. In den Gewässern von Draghar war der Pirat van Dell gefangengenommen worden, der sich lieber den Haien zum Fraß vorwarf, als der königlichen Marine in die Hände zu fallen. In seinem Palast schließlich war Admiral Langlais immer noch damit beschäftigt, die glaubhaften Unsinnigkeiten und unwahrscheinlichen Wahrheiten, die ihm von allen Meeren der Welt zugetragen wurden, mit zermürbender Genauigkeit zu katalogisieren. Seine Feder beschrieb mit unveränderlicher Geduld die phantastische Geographie einer unermüdlichen Welt. Sein Verstand erholte sich davon in der Genauigkeit des unveränderten täglichen Lebens. Mit sich selbst identisch, spulte sich sein Leben ab. Und auf eine fast schon beunruhigende Weise ruhte verwahrlost sein Garten.
    »Mein Name ist Elisewin«, sagte das Mädchen, als es vor ihm stand.
    Die Stimme faszinierte ihn: Samt.
    »Ich bin einem Mann begegnet, der Thomas hieß.«
    Samt.
    »Als er hier bei Ihnen lebte, hieß er Adams.«
    Admiral Langlais regte sich nicht, er blickte geradewegs in die dunklen Augen des Mädchens. Er sagte kein Wort. Er hatte gehofft, diesen Namen nie mehr zu hören. Tage-, monatelang hatte er ihn von sich ferngehalten. Er hatte nur wenige Sekunden Zeit, um zu verhindern, daß er zurückkäme, ihm die Seele und die Erinnerungen zu verletzen. Er hatte vor, aufzustehen und das Mädchen zu bitten fortzugehen. Er wollte ihr eine Kutsche geben. Geld. Alles mögliche. Er wollte ihr befehlen zu gehen. Im Namen des Königs, gehen Sie fort.
    Wie aus weiter Ferne erreichte ihn die Samtstimme. Und sie sagte:
    »Lassen Sie mich bei Ihnen bleiben.«
    Dreiundfünfzig Tage und neun Stunden lang wußte Langlais nicht, was ihn in jenem Augenblick dazu bewogen hatte zu antworten:
    »Ja, wenn Sie es wollen.«
    Er begriff es eines Tages, als er, neben Elisewin sitzend, der Samtstimme zuhörte, die sprach:
    »In Timbuktu ist dies die Stunde, in der die Frauen am liebsten singen und ihre Männer lieben. Sie entschleiern ihre Gesichter, und selbst die Sonne entfernt sich, so sehr ist sie ergriffen angesichts ihrer Schönheit.«
    Langlais spürte, wie eine immense, sanfte Müdigkeit ihm bis ins Herz stieg. Als sei er jahrelang gereist, herumgeirrt und hätte nun endlich den Heimweg gefunden. Er wandte sich nicht zu Elisewin hin. Aber er sagte leise:
    »Woher wissen Sie diese Geschichte?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nur, daß sie Ihnen gehört. Diese hier und all die anderen.«
    Elisewin blieb fünf Jahre in Langlais’ Palast. Pater Pluche fünf Tage. Am sechsten sagte er zu Elisewin, daß es zwar unbegreiflich sei, aber er habe einen Koffer da unten in der Pension Almayer stehen lassen, wirklich nicht zu begreifen, aber es seien wichtige Sachen darin, in dem Koffer, ein Anzug und vielleicht sogar das Buch mit all den Gebeten.
    »Was soll das heißen, vielleicht?«
    »Vielleicht … das heißt, gewiß, jetzt, da ich darüber nachdenke, ganz gewiß ist es in dem Koffer, du siehst ein, daß ich es auf keinen Fall dort lassen kann … nicht, daß sie sonst was wären, die Gebete, um Gottes willen, aber, nun ja, sie einfach so liegenzulassen … wenn man bedenkt, daß es sich um eine Reise von nur gerade mal zwanzig Tagen handelt, so groß ist die Entfernung ja nun auch nicht, es geht lediglich darum …«
    »Pater Pluche …«
    »… es bleibt natürlich dabei, daß ich zurückkomme … ich fahre nur mal eben hin, meinen Koffer zu holen, höchstens, daß ich ein paar Tage dort bleibe und mich ausruhe, aber dann …«
    »Pater Pluche …«
    »… es handelt sich lediglich

Weitere Kostenlose Bücher