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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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um etwa zwei Monate, gegebenenfalls könnte ich mal eben bei deinem Vater vorbeischauen, das heißt, ich meine, im äußersten Fall wäre es vielleicht gar nicht so verkehrt, wenn ich …«
    »Pater Pluche … Mein Gott, wie wirst du mir fehlen.«
    Am nächsten Tag reiste er ab. Er war schon in der Kutsche, als er noch einmal ausstieg, an Langlais herantrat und ihm sagte:
    »Wissen Sie was? Ich hätte darauf gewettet, daß Admirale aufs Meer gehören …«
    »Und ich hätte darauf gewettet, daß Priester in die Kirche gehören.«
    »Oh, na ja, wissen Sie, Gott ist überall …«
    »Das Meer auch, Pater. Das Meer auch.«
    Er fuhr ab. Und dieses Mal ließ er keinen Koffer zurück. 
     
    Elisewin blieb fünf Jahre in Langlais’ Palast. Die methodische Ordnung in den Räumen und die Stille des Lebens dort erinnerten sie an die weißen Teppiche in Carewall, an die kreisförmigen Alleen und das verwelkte Stilleben, das ihr Vater eines Tages für sie hatte gestalten lassen. Doch was dort Arzneimittel und Heilbehandlung war, war hier durchschaubare Sicherheit und freudige Genesung. Was sie als Hort für ihre Schwäche kennengelernt hatte, entdeckte sie hier als eine Form von kristallklarer Kraft. Von Langlais lernte sie, daß unter allen möglichen Lebensformen man sich in einer verankern mußte, um all die anderen unbeschwert betrachten zu können. Langlais schenkte sie, eine nach der anderen, die tausend Geschichten, die ein Mann und eine Nacht in ihr ausgesät hatten, Gott weiß wie, aber auf eine unauslöschliche und endgültige Art und Weise. Er hörte schweigend zu. Sie erzählte. Samt.
    Von Adams sprachen sie nie. Nur ein einziges Mal sagte Langlais, unversehens von seinen Büchern aufblickend, ganz behutsam:
    »Ich habe ihn geliebt, diesen Mann. Falls Sie verstehen können, was das bedeutet, ich habe ihn geliebt.«
    Langlais starb an einem Sommermorgen, von einem erbärmlichen Schmerz entkräftet und begleitet von einer Stimme – aus Samt –, die ihm von den Düften eines Gartens erzählte, dem kleinsten und schönsten von Timbuktu.
    Am Tag darauf reiste Elisewin ab. Sie wollte zurück nach Carewall. Ob sie einen Monat dafür brauchte oder ein Leben lang, dorthin wollte sie zurückkehren. Was sie dort erwartete, konnte sie sich nicht recht vorstellen. Sie wußte nur, daß sie all die Geschichten, die sie in sich aufbewahrte, für sich behalten würde, für immer. Sie wußte, daß sie in jedem Mann, den sie lieben würde, den Geschmack von Thomas suchen würde. Und sie wußte, daß kein Land die Spuren des Meeres, die in ihr waren, überdecken konnte.
    Alles weitere lag noch im Nichts. Es zu erfinden – das würde wunderschön werden. 

2. Pater Pluche
     
    Gebet für einen, der sich verirrt hat, nämlich, um ehrlich zu sein, Gebet für mich.
     

    Herr, Guter Gott, 
    habe Nachsicht mit mir, 
    ich bin es wieder.
     
    Hier gehen die Dinge
    ihren Gang, 
    man kommt zurecht, 
    der eine mehr, der andere weniger, 
    in der Tat
    findet man immer eine Methode, 
    eine Methode, um zurechtzukommen, 
    Du verstehst mich schon, 
    das ist also nicht das Problem.
    Das Problem liegt woanders, 
    wenn Du die Geduld hast zuzuhören, 
    mich anzuhören, mich.
    Das Problem ist dieser Weg, 
    ein schöner Weg, 
    der Weg, der läuft
    und weiterführt
    und weiterhilft, 
    aber nicht so geradlinig verläuft, 
    wie er verlaufen könnte, 
    jedoch auch nicht so krumm, 
    wie er sein könnte, 
    nein.
    Komischerweise
    zerfällt er.
    Glaube mir
    (ein einziges Mal glaube Du mir), 
    er zerfällt einfach.
    Wenn ich es zusammenfassen soll, wenn ich das soll, 
    er verflüchtigt sich
    ein bißchen hierhin, 
    ein bißchen dahin, 
    gepackt
    von plötzlicher
    Freiheit.
    Vermutlich.
    Nun, ich will nichts herabwürdigen, aber ich sollte Dir die Sache wohl erklären, denn es ist etwas Menschliches und nichts Göttliches, wenn der Weg, der vor einem liegt, zerfällt, sich verliert, zerbröckelt, finster wird. Ich weiß nicht, ob Dir das gegenwärtig ist, es könnte gut sein, daß es Dir nicht gegenwärtig ist, weil es im allgemeinen nur auf Menschen zutrifft, daß sie sich verirren. Nicht auf Dich. Höre mir also bitte geduldig zu, und laß es Dir erklären. Es geht ganz schnell. Vor allem darfst Du Dich nicht durch die Tatsache ablenken lassen, daß man – technisch gesprochen – nicht bestreiten kann, daß dieser Weg, welcher unter den Wagenrädern läuft und weiterführt und weiterhilft, so man sich an die Tatsachen hält, tatsächlich

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