Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres
Bartleboom
Es kam so. Bartleboom befand sich in einem Thermalbad, dem Thermalbad Bad Hollen, einer scheußlichen Kleinstadt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er fuhr dorthin, weil er unter gewissen Beschwerden litt, er hatte es wohl mit der Prostata, eine lästige und unliebsame Angelegenheit. Wenn es einen an der Stelle trifft, bedeutet das immer eine wahre Quälerei, nichts Schlimmes, aber man muß darauf achtgeben, und man muß eine Menge lächerlicher, demütigender Dinge tun. Bartleboom also, er zum Beispiel fuhr ins Thermalbad Bad Hollen. Eine im übrigen scheußliche Kleinstadt.
Wie dem auch sei.
Bartleboom war mit seiner Verlobten dort, einer gewissen Maria Luigia Severina Hohenheith, einer zweifellos schönen Frau, aber einer von der Sorte Opernloge, wenn Sie verstehen, was ich damit meine. Ein bißchen Fassade. Man fühlte sich versucht, um sie herumzugehen und zu schauen, ob etwas dahintersteckte, hinter der Schminke und dem gespreizten Gerede und allem anderen. Man tat es dann doch nicht, aber die Versuchung war groß. Bartleboom, um der Wahrheit die Ehre zu geben, hatte sich nicht mit allzu großer Begeisterung verlobt, im Gegenteil. Das muß gesagt werden. Eine seiner Tanten, Tante Matilde, hatte alles eingefädelt. Man muß ja bedenken, daß er damals von Tanten sozusagen umzingelt war, und der Vollständigkeit halber muß auch gesagt werden, daß er von ihnen abhängig war, rein wirtschaftlich, meine ich, er selbst besaß keinen roten Heller. Die Tanten waren es, die für seinen Lebensunterhalt aufkamen. Das war die Konsequenz seiner leidenschaftlichen und ungeteilten Zuwendung an die Wissenschaft, die Bartlebooms Leben an die ehrgeizige Enzyklopädie der Grenzen undsoweiterundsofort band, ein vortreffliches Werk, und ein verdienstvolles dazu, das ihn naheliegenderweise jedoch daran hinderte, seinen beruflichen Pflichten nachzugehen, und ihn veranlaßte, Jahr um Jahr seine Stelle als Professor samt entsprechendem Verdienst vorübergehend einem Vertreter zu überlassen, der in dem vorliegenden Fall, das heißt während der vollen siebzehn Jahre, in denen es in diesem Schlendrian weiterging, ich selber war. Demzufolge werden Sie für meine Dankbarkeit ihm gegenüber Verständnis haben und meine Bewunderung für sein Werk begreifen. Das versteht sich von selbst. Dergleichen vergißt ein Ehrenmann nicht.
Wie dem auch sei.
Tante Matilde hatte alles eingefädelt, ohne daß Bartleboom sich groß dagegen auflehnen konnte. Er hatte sich verlobt. Allerdings hatte er das nicht gerade mit Freuden geschluckt. Er hatte etwas von seinem Glanz verloren … die Seele war ihm trüb geworden, wenn Sie verstehen, was ich meine. Es war, als hätte er sich etwas anderes vorgestellt, etwas völlig anderes. Auf eine derartige Normalität war er nicht vorbereitet. Er schlug sich durchs Leben, mehr auch nicht. Dann, eines Tages in Bad Hollen, ging er mit seiner Verlobten samt der Prostata zu einem Empfang, eine elegante Angelegenheit mit Champagner und fröhlich-leichter Musik. Walzer. Dort begegnete er Anna Ancher. Sie war eine außergewöhnliche Frau, das war sie. Sie malte. Gut sogar, wie es hieß. Ein völlig anderes Format als Maria Luigia Severina, um das einmal klarzustellen. Sie war es, die ihn im lärmenden Treiben des Festes ansprach.
»Verzeihen Sie … Sie sind doch Professor Bartleboom, nicht wahr?«
»Ja.«
»Ich bin eine Freundin von Michel Plasson.«
Dabei kam heraus, daß er ihr tausendmal geschrieben hatte, der Maler, der von Bartleboom und vielen anderen Dingen erzählt hatte, besonders auch von der Enzyklopädie der Grenzen undsoweiterundsofort, eine Geschichte, die sie, wie sie sagte, sehr beeindruckte.
»Ich wäre entzückt, wenn ich eines Tages Ihr Werk zu sehen bekäme.«
Genau so sagte sie: entzückt. Sie sagte es, indem sie ihr Köpfchen leicht zur Seite neigte und sich ein Löckchen ihrer rabenschwarzen Haare aus den Augen strich. Eine Meisterleistung. Bartleboom war zumute, als hätte man ihm diesen Satz geradewegs in den Blutkreislauf eingeflößt. Dieser Satz strahlte sozusagen bis in seine Hose aus. Er murmelte irgend etwas, und von da an tat er nichts anderes mehr, als zu schwitzen. Er konnte himmlisch schwitzen, wenn es angebracht war. Die Temperatur hatte nichts damit zu tun. Er machte das alles von allein.
Womöglich wäre die Geschichte hier auch schon zu Ende gewesen, doch am nächsten Tag, als Bartleboom allein spazierenging und jenen Satz und alles weitere in seinem Kopf
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