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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alessandro Baricco
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sah er klar. Man könnte sagen, daß er mit jedem Kilometer, den er zurücklegte, einen Kilometer weniger klar sah. Schließlich beschloß er, sich eine Denkpause zu verordnen. In Pozel, sechs Kilometer vor Bad Hollen, stieg er aus. Und verbrachte dort die Nacht. Am nächsten Morgen nahm er die Kutsche nach Hollenberg: Er hatte sich für die Pianistin entschieden. Sie ist begehrenswerter, dachte er. Beim zweiundzwanzigsten Kilometer angekommen, änderte er seine Meinung: genau gesagt in Bazel, wo er ausstieg und übernachtete. Am frühen Morgen machte er sich mit der Kutsche auf den Weg nach Bad Hollen – in seinem Innersten bereits verlobt mit Anna Ancher, der Malerin –, um dann in Suzer, einem zwei Kilometer von Pozel entfernten kleinen Dorf, anzuhalten, wo er sich definitiv darüber klar wurde, daß er, charakterlich gesprochen, besser zu Elisabeth, der Pianistin, paßte. In den darauffolgenden Tagen brachten ihn seine wankelmütigen Ortswechsel erneut nach Alzen, dann nach Tozer, von dort nach Balzen, anschließend zurück bis nach Fazel und von dort der Reihe nach nach Palzen, Rulzen, Alzen (zum drittenmal) und Colzen. Bei den Leuten der Gegend war die Überzeugung herangereift, er sei ein Inspektor irgendeines Ministeriums. Alle behandelten ihn sehr wohlwollend. Als er bei der dritten Durchreise in Alzen haltmachte, erwartete ihn gar ein Bürgerkomitee zur Begrüßung. Er maß dem keine große Bedeutung bei. Auf Formalitäten legte er keinen Wert. Bartleboom war ein einfacher Mann, ein Prachtstück von einem einfachen Mann. Und rechtschaffen. Wirklich wahr.
    Wie dem auch sei.
    Die Geschichte konnte nun nicht in alle Ewigkeit so weitergehen. Auch wenn sich die Bürgerschaft als liebenswürdig erwies. Früher oder später mußte es ein Ende nehmen. Das sah Bartleboom ein. Und nach zwölf Tagen leidenschaftlichen Schwankens zog er den passenden Anzug an und preschte entschlossen in Richtung Bad Hollen vor. Er hatte sich entschieden: Mit einer Malerin würde er zusammenleben. Er kam am Abend eines Feiertags an. Anna Ancher war nicht zu Hause. Sie würde aber in Kürze eintreffen. Ich warte, sagte er. Und machte es sich in einem kleinen Salon bequem. Da kam ihm ebenso urplötzlich wie blitzartig ein maßgebendes und gleichermaßen verheerendes Bild in den Kopf: seine Mahagonischachtel, wie sie schön glänzend auf dem Klavier im Hause Ancher lag. Er hatte sie dort vergessen. Derartige Dinge sind für gewöhnliche Menschen, wie zum Beispiel für mich, nur recht schwer zu begreifen, weil es um das Geheimnis hochgelehrter Geister geht, etwas, was nur sie selbst angeht, Räderwerke des Genius, fähig zu grandiosen Glanzleistungen und zu kolossalem Unfug. Bartleboom gehörte dieser Spezies an. Kolossaler Unfug manchmal. Jedenfalls verlor er nicht die Fassung. Er erhob sich, gab Bescheid, daß er später wiederkommen würde, und suchte Zuflucht in einem kleinen Hotel außerhalb der Stadt. Am nächsten Tag nahm er die Kutsche nach Hollenberg. Er hatte nunmehr eine gewisse Vertrautheit mit der Strecke, er war sozusagen im Begriff, ein echter Experte dafür zu werden. Falls es je an einer Universität einen Lehrstuhl für Studien über diese Strekke gegeben hätte, er hätte ihn bekommen, darauf kann man getrost wetten.
    In Hollenberg ging alles glatt. Die Kassette war tatsächlich da.
    »Ich hätte sie Ihnen gerne geschickt, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, wo ich Sie finden konnte«, sagte Elisabeth Ancher mit einer Stimme, die selbst einen Stocktauben betört hätte. Bartleboom wankte einen Augenblick, doch dann hatte er sich wieder im Griff.
    »Nicht der Rede wert, es ist schon in Ordnung so.«
    Er küßte ihr die Hand und verabschiedete sich. Die ganze Nacht über machte er kein Auge zu, doch am nächsten Morgen traf er pünktlich zur Abfahrt der ersten Kutsche nach Bad Hollen ein. Eine schöne Reise. An jeder Haltestelle allerseits Begrüßungen und Willkommensbekundungen. Die Leute begannen, ihn gern zu haben, so sind sie nun mal in der Gegend da, gesellige Menschen, die, ohne sich groß Fragen zu stellen, dir ihr Herz schenken. Wirklich wahr. Die Gegend ist zwar von einer schauderhaften Häßlichkeit, das muß man wohl sagen, doch die Menschen sind unübertrefflich, Menschen wie aus einer anderen Zeit.
    Wie dem auch sei.
    Dank Gottes Beistand kam Bartleboom mitsamt seiner Mahagonikassette, den Briefen und so fort in Bad Hollen an. Er begab sich erneut zum Hause Anna Anchers und ließ sich anmelden. Die

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