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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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sprechen. Ich weiß nicht, wie Ihr Englisch ist, Freundchen, aber sogar mir fällt es schwer, die im Süden zu verstehen, und dabei bin ich schon drei Jahre hier.« Er lachte. »Und rufen Sie mich an, wenn Sie wollen, wenn Sie etwas brauchen. Vielleicht ändern Sie ja Ihre Meinung, dann können wir auf Ihrer Rückreise ein bißchen Spaß zusammen haben.«

Neunzehntes Kapitel

    »Es waren drei junge Männer, Juden natürlich. Wir sprechen über das Jahr 1950, also über eine Zeit, die ungefähr fünfunddreißig Jahre zurückliegt. Einer von ihnen war als Baby Mitte der dreißiger Jahre mit seinen Eltern nach Israel gekommen, in das damalige Palästina. Seine Mutter hatte schreckliches Heimweh nach Rußland, und als sie überzeugt war, ihre Ideen und Vorstellungen in dem neuen Land nicht verwirklichen zu können, nahm sie ihren kleinen Sohn und ging mit ihm zurück in die Sowjetunion. Wir sprechen jetzt über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, vor der Gründung des neuen zionistischen Staates. Die siegreiche russische Armee zog sie an, Stalin zog sie an, Gott weiß was, heute sind wir klüger, deshalb können wir schwer verstehen, was sie anzog. (Lachen.) Ihr Sohn war da schon vierzehn, es gab einige solcher Fälle von Juden, die von Palästina zurück in die Sowjetunion gegangen sind, jeder Fall ist eine eigene Geschichte. Fast alle haben es bereut. Diese Frau nahm ihren Sohn mit, und sie lebten einige Jahre in Moskau. Als der Junge achtzehn war, beschloß er, zusammen mit zwei gleichaltrigen Freunden, zurück nach Israel zu gehen. Das war nicht ganz legal, wie Sie wissen. (Ein tiefer Atemzug.) Sie waren zu dritt. Anatoli Ferber, für den Sie sich so sehr interessieren, er ist vielleicht die Hauptfigur Ihrer Geschichte, er hatte bereits eine hebräische Erziehung, was vielleicht seine Sehnsucht erklärt, nach Israel zurückzukehren, jedoch nicht den Einfluß, den er auf seinen Freund Boris hatte. Unser Freund Boris ist mein Held, fast fünfunddreißig Jahre saß er in sowjetischen Gefängnissen, und es ist ein Wunder, daß er am Leben geblieben ist, mal ganz abgesehen von seinem Zustand, seinem Herzen, der Diabetes, den Nieren und was sonst noch alles.
    Boris war der zweite. Sie kamen bis Lebatomei, einer russischen Hafenstadt am Schwarzen Meer, sieben Kilometer von der Türkei entfernt. Bis dorthin haben sie es geschafft, und dann wurden sie geschnappt. Boris behauptet, daß der dritte junge Mann sie verraten hat. Jemand mit Namen Duchin. Und in den Nächten, wenn Boris vor Fieber glühte, auch als er schon bei mir im Haus war, sprach er dauernd über Duchin. Dabei hat er noch nicht mal versucht, ihn nach seiner Befreiung ausfindig zu machen. Da verstehe einer die Menschen.
    Sie saßen sieben Jahre zusammen, Ihr Anatoli und mein Boris, zuerst drei Jahre in Lubyanka, einem Gefängnis in Moskau, zwei Jahre im Gefängnis Perm in Mordavia, danach noch zwei Jahre in Magadan, im Nordosten Sibiriens, einem Arbeitslager, was auf russisch katorga heißt. Dort mußten die Leute unbedingten Gehorsam zeigen und wie die Tiere arbeiten, und ich kann Ihnen das Leiden nicht beschreiben, weil es so etwas nicht gibt. Vielleicht haben Sie Solschenizyn gelesen, was er in Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch schreibt, oder im Archipel Gulag. Das Arbeitslager, das er im Archipel Gulag beschreibt, ist eigentlich Magadan, aber die Einzelheiten sind jetzt vielleicht nicht so wichtig. Dort in Magadan jedenfalls ist Anatoli Ferber gestorben. An was er gestorben ist? An Lungenentzündung. Glauben Sie mir, es war dort kein Problem, an Lungenentzündung zu sterben, bei dem Hunger und der Arbeit und der lächerlichen medizinischen Betreuung, die sie erhielten. Es gab schon Antibiotika in der Welt. Aber dort nicht. Das war eines der Dinge, für die ich die ganzen Jahre über gekämpft habe, nicht nur dafür, daß man sie herausließ, sondern daß man sie überhaupt leben ließ. Man kann nicht sagen, daß Anatoli Ferber ein richtiger Dissident gewesen wäre. Er wollte einfach nach Israel. Aber im Arbeitslager wurde er vermutlich zu einem Dissidenten, weil man sie anfangs zu fünf Jahren verurteilt hatte, dann bekamen sie noch mal fünf Jahre – das war die Zeit, in der Ferber starb –, nach Paragraph 10/58. Das war ein sehr wichtiger Paragraph: antisowjetische Propaganda. Jeder konnte entscheiden, wann es sich um antisowjetische Propaganda handelte. Das ist die Geschichte. Mein Boris wurde dann ins Gefängnis Botriski in Moskau gebracht, und

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