Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
finden kann. Falls Dr. Schaj heute ins Institut kommt, und ich glaube, das muß er, könnten Sie ihn dann bitten, daß er mich vorher anruft?«
»Ja«, sagte Ruchama und legte auf.
Adina konnte nicht wissen, daß seit jenem Seminar, seit Mittwoch abend, Ruchamas Welt zusammengebrochen war. Sogar Scha'ul Tirosch, der ihre Beziehung am Donnerstag nach dem Seminar ohne Vorwarnung abgebrochen hatte, konnte das nicht wissen. Er hatte sie an diesem Tag fast nicht beachtet, ein fremdes Feuer brannte in seinen Augen, als er seine gut manikürten Nägel geprüft und sie dann angeschaut hatte, den Kopf zur Seite geneigt, und mit einem beiläufigen Ton, der im Gegensatz zu dem Feuer in seinen Augen stand, gesagt hatte, daß die Beziehung zwischen ihnen doch schon ihren Reiz verloren habe und zur Routine geworden sei, einer Routine, die er sein Leben lang zu vermeiden getrachtet habe. »So ist es nun mal«, hatte er schließlich gesagt. »Wie der Dichter sagt: Am Anfang ist es ›Ich liebe dich mehr, als ich zu sagen vermag‹, und am Ende ›Dann kamen wir in die Stadt, und Havazelet drückte mich zu Boden‹, wenn du verstehst, was ich meine.«
Ruchama verstand es nicht, aber sie dachte an Ruth Duda'i. Sie kannte das Gedicht nicht, das Scha'ul zitiert hatte, wußte nicht, wie es weiterging. Ihr Unverständnis stand ihr offenbar ins Gesicht geschrieben, und als Antwort deutete Tirosch auf das Buch Avidans, das auf seinem Tisch lag. Er verwies sie auf das Gedicht Persönliche Probleme und riet ihr, »ganz allgemein, sich der Poesie als Lebenshilfe zu bedienen«.
Viele Male hatte sich Ruchama ihre Trennung vorgestellt. Doch nie hätte sie geglaubt, daß es so weh tun könnte. Nie hätte sie angenommen, trotz allem, was über ihn erzählt wurde, trotz aller Anzeichen, daß er so grausam sein könnte. Was habe ich denn getan? wollte sie fragen, doch sie schluckte diese Frage herunter, als sie sah, daß er wieder seine Fingernägel begutachtete. Sie spürte, daß ihre Anwesenheit überflüssig war.
Innerlich zählte sie die Tage, die seither vergangen waren: Donnerstag, Freitag, Sabbat, Sonntag – und der fängt erst an.
Seit Donnerstag nachmittag hatte sie das Bett nicht verlassen. Tuwja hatte im Krankenhaus Bescheid gesagt, daß sie krank sei, und sie mit distanzierter Anteilnahme gepflegt. Hinter seinen gewohnten Bewegungen war eine neue Energie spürbar geworden, etwas, was sie nicht an ihm kannte. Etwas, was an Wut und Verzweiflung erinnerte.
Der Name Scha'uls wurde von beiden nicht erwähnt. Tuwja verließ die Wohnung und blieb endlos fort. Sie wußte nicht, wo er war. Am Freitag ging er zur Fakultätsversammlung und kam spätnachts zurück.
Sie verbrachte die Tage seit der Trennung schlafend. Nur manchmal stand sie auf, um zur Toilette zu gehen oder Wasser zu trinken. Wenn sie für eine Minute aufwachte, quälte sie das Gefühl des Untergangs mit einer ungekannten Macht, und sie glaubte, ihr Körper könne die Trennung nicht ertragen. Das Vergnügen, das sie seit ihrem Zusammensein mit Scha'ul kannte, das körperliche Vergnügen, war zu einer Sucht geworden, und sie wußte nicht, wie sie sich von ihr befreien sollte.
Wenn Tuwja zurückkam und sie zerstreut dazu drängte, etwas zu essen, schüttelte sie den Kopf. Es fiel ihr schwer zu sprechen, und Tuwja versuchte nicht, sie dazu zu zwingen.
Zum ersten Mal in ihrem Leben verspürte Ruchama den Wunsch, daß er die Mauer durchbrach, daß er ihr half. Und ausgerechnet diesmal, das merkte sie, war er erleichtert über ihre Zurückgezogenheit und ihr Desinteresse an dem, was er tat. Den ganzen Sabbat verbrachte er in seinem Arbeitszimmer.
Nun, nach dem Gespräch mit Adina, ging sie hinüber, zum ersten Mal seit Freitag, und fand ihn auf dem Sofa liegend, wo er mit offenen Augen an die Decke starrte. Auf dem Teppich zu seinen Füßen lagen alle Gedichtbände Tiroschs.
Ruchama begann sich zu fragen, ob Tuwja an ihrem Leiden teilhatte, diesem so sehr persönlichen Leiden daran, daß sie keinen Platz mehr im Leben Scha'uls hatte.
Es kann nicht sein, daß er es ihm gesagt hat, dachte sie. Er kann es unmöglich gewagt haben. Ausgeschlossen, daß Tuwja es weiß. Sie schaute ihn an. Er starrte weiterhin zur Decke, doch dann drehte er sich langsam zu ihr um. Er wirkte irgendwie leblos, gleichgültig.
»Das war Adina«, sagte sie leise. Dieser Satz schien ihr sicherer zu sein als alle Dinge der Welt.
»Was ist mit Adina?« fragte Tuwja, und dann sah sie, daß er das Telefon,
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