Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
erschauern. Zwischen den beiden großen Fenstern hing das Gemälde eines schwarzen, wilden Meeres – und er wußte sofort, noch bevor er die Signatur gesehen hatte, von wem das Bild war: von Usis Vater.
    Es verwirrte Michael, dieses Bild in Tiroschs Haus zu finden. Die Umstände, die die Tatsache, daß Usi nach zwanzig Jahren wieder in sein Leben getreten war, mit Duda'is Tod und nun mit dem Haus Tiroschs verknüpften, erschreckten ihn. Erst später verstand er, daß der Grund für sein Erschrecken genau das Gefühl war, daß der Zufall über sein Leben bestimmte und daß es eine geheimnisvolle Gesetzmäßigkeit hinter diesen Ereignissen gab. Doch als er vor dem Bild stand, empfand er nur Erschrecken, den Wunsch, zu fliehen und einen starken Drang, die Welt zu verstehen, in die er da hineingeraten war.
    Das zweite Bild war kleiner, ein weiblicher Akt, eine Kohlezeichnung. Die Signatur konnte er nicht entziffern. Die Möbel im Raum waren rein funktional: zwei helle, kühle Sessel, ein strenges Sofa und einen Kaffeetisch – eine Mosaikplatte in einem glänzenden Nickelrahmen. Nirgendwo konnte er eine Blumenvase, eine Porzellanfigur oder irgendwelchen Nippes entdecken. Auf dem Kaffeetisch stand ein großer, blauer Aschenbecher aus Hebronglas neben einer Nummer des New Yorker. Michael blätterte geistesabwesend in der Zeitschrift herum, mit den Gedanken noch immer bei dem Bild, das er an der Wand entdeckt hatte. Balilati und zwei Leute von der Spurensicherung kamen plötzlich aus einem anderen Zimmer. Das Haus hatte außer dem Zimmer, das Balilati »Salon« nannte, ein Schlafzimmer, ein Arbeitszimmer und eine kleine Küche. Zu Michaels Bedauern drückte Balilati auf den Lichtschalter, und der Zauber verflog. Das Licht der großen, hellen Lampe, die vom Deckengewölbe herunterhing, betonte das kalte Weiß der Wände.
    »Du kannst drinnen rauchen, komm, ich zeig' dir was«, sagte Balilati ungeduldig, und Michael folgte ihm gehorsam ins Arbeitszimmer. Dort stand eine große Kommode. Fünf tiefe Schubladen waren herausgezogen, sie waren voller Papiere und Zettel. Dann lenkte Balilati Michaels Blick auf den Schreibtisch, dessen Schubladen, vier an der Zahl, ebenfalls weit herausgezogen waren, und auch in ihnen befanden sich Papiere. Neben dem Tisch lag ein Stapel Aktendeckel, jede mit einem auffallend ordentlich beschrifteten Etikett beklebt: »Aufklärung«, »Bialik, kritische Betrachtung von«, »Strukturalismus, Artikel«. Auf dem Schreibtisch lag ein großer Schreibblock, daneben ein einfacher Kugelschreiber. Michael beugte sich vor, riß die scheinbar leere erste Seite heraus und betrachtete sie gegen das Licht. »Schira – das letzte Kapitel.«
    »Ja«, sagte Balilati ungeduldig. »Ich habe es schon gesehen. Er hat fest aufgedrückt, aber wir haben das Original nicht gefunden. Ich weiß nicht, was das bedeuten soll.«
    Michael schaute sich um. Er warf einen Blick auf den Stapel Bücher auf einer Ecke des Tisches, doch er fand keinen Hinweis.
    »Darüber machen wir uns später Gedanken«, sagte Balilati und beugte sich wieder über die Mappen.
    »Ich habe sie aus dem Regal da genommen, fünfzig solche Mappen, und es gibt noch viele mit Zeitungsartikeln und außerdem eine Million Bücher, und auch im Schlafzimmer liegen ganze Haufen von Büchern und Papieren.« Vorwurfsvoll fügte er hinzu: »Und wie ich dich kenne, werden wir zwei Jahre brauchen, um alles durchzuschauen.«
    »Sind Briefe da? Ein Tagebuch?« antwortete Michael kurz.
    »Folgen Sie mir, mein Herr, wenn es genehm ist.« Balilati führte ihn in das Schlafzimmer.
    Eine ganze Weile betrachtete Michael das breite, niedrige Bett, die Bücherregale zu beiden Seiten, das Bogenfenster, das auf das Ben-Hinom-Tal ging und durch das weiches Licht hereinfiel, die Flasche Wein auf der kleinen Kommode neben dem Bett, die beiden Gläser, den kupfernen Kerzenständer mit dem Kerzenstummel darin, den weißen, weichen Teppich. Ein Gedichtband – von einem Dichter, dessen Namen er nicht kannte, Anatoli Ferber – lag offen am Fußende des Bettes. Balilati öffnete den Kleiderschrank. Dunkle Anzüge, graue Anzüge, weiße Hemden hingen dutzendweise auf der Stange. Und drei Paar Schuhe aus weichem, dunklem Leder standen unter den Anzügen, auf dem Boden des Schranks.
    Wie leer doch die Bühne ohne Hauptdarsteller aussieht, dachte Michael. Eli lief ungeduldig hin und her, dann unterbrach er Michaels Gedanken und fragte: »Nun, womit willst du anfangen?« Und Balilati deutete

Weitere Kostenlose Bücher