Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
noch mit den Verhören anfangen müssen, bevor wir das Ergebnis des Pathologen haben? Bevor wir mit den Leuten von der Spurensicherung gesprochen haben, bevor wir ein Untersuchungsergebnis aus seiner Wohnung haben? Andrerseits ...« Michael nahm das Funkgerät und bat um Nachricht, ob Balilati mit der Durchsuchung fertig sei. Einige Minuten vergingen, bis er die Antwort bekam. »Sie sind noch nicht fertig. Sie laden dich zu der Party ein. Willst du die Adresse?« Eli zog einen zerknitterten Zettel heraus und legte ihn auf das Armaturenbrett. Michael antwortete: »Nicht nötig. Wir haben die Adresse.«
Eli Bachar seufzte. »Gut, warten wir das Ergebnis der Spurensicherung und der Autopsie ab. Immer bist du am Anfang so langsam. jedesmal muß ich mich wieder daran gewöhnen.« Noch einmal seufzte er laut. »Ich weiß, ich weiß, man muß erst mal den ›Geist der Dinge‹ erfassen und wissen, wie alles aussieht, das sind doch deine Thesen. Sag nichts, ich weiß es schon, und ich hoffe, daß der Pathologe dir genug vom ›Geist der Dinge‹ liefert, damit du in Schwung kommst, ich kann nicht so lange im ersten Gang fahren. Soll ich mit Zila sprechen, oder willst du es tun?«
»Das kann doch Avidan machen«, sagte Michael raffiniert.
»Daß du Angst vor ihr hast, beruhigt mich«, sagte Eli, ohne zu lächeln. »Daß ich Angst vor ihr habe, ist klar, aber ich dachte, du könntest mit ihr umgehen.«
Michael lächelte und gab keine Antwort. Erst nach fünf Jahren der gemeinsamen Arbeit schaffte es Eli Bachar, die Intimität zwischen ihnen beiden in Worte zu fassen.
Es war sieben Uhr abends, als Michael im Stadtviertel Jemin Mosche das Auto parkte, neben Balilatis Renault 4 und nicht weit vom Streifenwagen der Spurensicherung, und ausstieg. Eli Bachar schaute noch einmal auf den Zettel und sagte: »Okay, fangen wir an zu suchen.«
Sie begannen die Stufen hinabzusteigen, die nach Jemin Mosche führten. »Und der Chamsin hat auch aufgehört«, sagte Eli Bachar.
Sechstes Kapitel
Weil der Chamsin aufgehört hatte, war auch von einem Moment zum nächsten die drückende Luft verschwunden, und ein plötzlich aufkommender Wind brachte den Geruch von Blumen mit sich, als Michael die Stufen der Straße in das berühmte romantische Viertel hinunterstieg, das von Künstlern und Prominenten vereinnahmt worden war. Er blieb vor dem Musikzentrum stehen, während Eli Bachar, der vorausgegangen war, ihm winkte und das Schweigen mit einem Ruf »Hier, da ist es« unterbrach. Michael betrachtete die Häuser, die gepflegten Gärten, die Schilder der Kunstgalerien und fragte sich neugierig, wie Tiroschs Haus wohl aussehen mochte.
Auf dem kleinen Vorplatz vor dem Haus, den man durch ein dunkles Eisentor betrat, war kein Garten. Nur einige Rosenstöcke und drei Statuen hoben sich gegen das Weiß der Hauswand ab.
»Er war nichts und niemandem verpflichtet. Ein freier Mann, nicht einmal mit einem Garten hat er sich belastet«, sagte Michael laut, aber Eli reagierte nicht. Er öffnete die Tür, an der ein Keramikschild befestigt war. Auf hebräisch, englisch und arabisch stand darauf: Tirosch. Die schwere dunkle Holztür knarrte, als befände sich unter ihr grober Sand, und führte direkt in einen großen dämmrigen Raum mit einer Gewölbedecke, dessen Fenster zum Ben-HinomTal hinausgingen.
Das letzte Licht des Tages tauchte das Zimmer in goldenes und purpurnes Licht und ließ es verzaubert, fast märchenhaft aussehen. Die Wände waren mit Büchern bedeckt, und das war, wie Michael feststellte, das einzig Warme an diesem Zimmer. Auf einem schmalen weißen Regal stand eine Stereoanlage, daneben eine Sammlung von Platten und Kassetten. Michael schaute sie durch und stellte fest, daß alle Wagneropern da waren, ebenso die Opern von Richard Strauss. Auf dem untersten Fach stand Kirchenmusik. Stabat Mater von Dvoøák und das War Requiem von Britten, außerdem noch ein Stück, von dem er noch nie etwas gehört hatte. Komponist und Titel waren mit verschnörkelten goldenen Buchstaben auf die Rückseite gedruckt, und er konnte sie nur mit großer Mühe entziffern: Glagolitische Messe von Janáèek. Kammermusik gab es überhaupt nicht. Michael schaute sich auch die Kassetten an. Er war beeindruckt von der überraschenden Sorgfalt, mit der die Namen der Komponisten, der Dirigenten und der Solisten notiert waren. Einen Fernseher gab es nicht.
An den Wänden hingen nur zwei Bilder, eines von ihnen ließ Michael wegen des merkwürdigen Zufalls
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