Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
nicht anwesend sei. Dessen Haltung blieb unverändert, er saß entspannt da, die Hände vor sich auf dem Tisch, und sah Michael kein einziges Mal an. Er starrte zu dem kleinen Fenster hinter den Schultern des Kriminalbeamten hinaus, als lausche er anderen Stimmen, als führe er parallel zu diesem ein anderes Gespräch.
    Michael hatte das Gefühl, als sitze ein Schatten vor ihm, der Körper eines Menschen, dessen Natur ein Geheimnis blieb. Sätze, die er sagte, wie: »Ich habe gehört, Sie hätten sich sehr nahegestanden«, wurden mit einem unverbindlichen Nicken beantwortet. Auch als er sagte: »Dieser Mord muß Sie jedenfalls tief getroffen haben, nicht wahr?«, bewegte sich Tuwja Schaj nicht, er zuckte nicht mit der Wimper, sondern nickte auf die gleiche mechanische Art.
    Nur als Michael die Frage nach dem Tauchen stellte, lächelte der Mann müde und schüttelte den Kopf. Er habe noch nie getaucht. Nach einer knappen Stunde überlegte Michael, wie er ihn dazu bringen könnte, anwesend zu sein, beteiligt, und versuchte es mit einem Schock.
    »Sie wissen«, sagte er mit einer Stimme, die allmählich ebenfalls leblos wurde, und steckte sich eine Zigarette an, »daß der Tod von Ido Duda'i kein tragischer Unfall war.« Er betrachtete Schaj und bemerkte, wie sich dessen Schultern zusammenzogen, dann erhob er seine Stimme und fuhr fort: »Er wurde ermordet!«
    Die Atemzüge Tuwja Schajs waren das einzige Geräusch, das als Antwort auf die Bombe, die Michael geworfen hatte, im Zimmer zu hören war. Tuwja Schaj sagte kein Wort.
    »Haben Sie das gewußt?« fragte Michael und merkte, daß er vor lauter Nervosität den Unterkiefer anspannte. Tuwja schüttelte den Kopf.
    »Und was empfinden Sie bei dieser Nachricht?« fragte er. Tuwja Schaj antwortete nicht.
    »Und interessiert es Sie nicht, die Einzelheiten dieses Mordes zu erfahren?«
    Tuwja Schaj senkte den Kopf.
    »Vielleicht wissen Sie ja bereits, wie Ido Duda'i umgebracht worden ist?« sagte Michael immer wütender. Er mußte sich zurückhalten, um den Mann nicht an den Schultern zu packen und zu schütteln. Da hob Tuwja Schaj den Kopf und sah Michael zum ersten Mal direkt an.
    Hinter den dicken Brillengläsern sah Michael Tränen. Sie verschleierten den schrecklichen Ausdruck in Tuwja Schajs Augen nicht, als sähe dieser in Michaels Blick das Bild des toten Ido Duda'i vor sich, erstickt, so wie dieser in diesem Moment die am Strand ausgestreckte Leiche vor sich sah. Tuwja Schaj seufzte, sagte aber kein Wort. Dann wischte er sich mit einem dünnen, kraftlosen Finger die Tränen hinter den dicken Brillengläsern ab. Als Michael später die Aufnahme abhörte, stellte er fest, daß das Schweigen nur eine halbe Minute gedauert hatte. Doch in diesem Moment hatte er das Gefühl, als dauere es Stunden. Er wartete erfolglos. Tuwja Schaj tat nichts, die Stille zu unterbrechen.
    »Wenn ich es mir genau überlege«, sagte Michael schließlich, »so braucht man gar nichts über das Tauchen zu wissen, um Kohlenmonoxyd in die Flaschen zu füllen, in denen eigentlich nur Preßluft sein sollte. Kennen Sie sich mit chemischen Vorgängen aus?«
    Tuwja schüttelte den Kopf. Als er schließlich sprach, war seine Stimme krächzend und dünn. »Sie verstehen nicht. Ich habe Ido sehr gern gehabt.«
    »Gern gehabt«, wiederholte Michael. »Und Sie haben keine Ahnung, wer ihn nicht gern gehabt hat?«
    Wieder schüttelte Tuwja Schaj den Kopf, dann sagte er: »Ich weiß nicht, wer ihn ermordet hat.« Die Tränen waren aus seinen Augen verschwunden, er blickte wieder an Michaels Schultern vorbei zum Fenster.
    »Was hat sich genau beim Fakultätsseminar ereignet?« fragte Michael. Tuwja Schaj richtete sich auf, wieder blitzten seine Augen für einen Moment auf und erloschen dann. »Es war ein Seminar zum Thema ›Ein gutes Gedicht – ein schlechtes Gedicht‹, und Scha'ul Tirosch, Ido Duda'i und ich waren die Vortragenden.«
    »Und was ist da, passiert? War etwas Besonderes?«
    »Was meinen Sie mit ›passiert‹? Es war ein Fakultätsseminar, vielleicht sollte ich Ihnen erklären, was das ist?« Tuwjas Stimme wurde eine Spur lebhafter.
    Michael breitete die Hände aus, als wolle er sagen: Also los, doch dann sagte er – und innerlich war er wütend auf den kindlichen Trieb, der ihn dazu brachte –: »Nicht nötig, ich kenne das Institut, ich habe dort meine Abschlußprüfung gemacht, übrigens mit Auszeichnung.« In der Regel verzichtete er auf das, was er »narzißtische Befriedigung« nannte.

Weitere Kostenlose Bücher