Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
fing Tuwja an aufzuzählen: ein kleiner persischer Aschenbecher, ein viereckiger Briefbeschwerer, das große Büroheft, die Seminararbeiten in der rechten Ecke und schließlich die indische Statue.
»Was für eine Statue ist das genau?«
»Eine Statue des Gottes Schiwa, ziemlich alt, ungefähr so lang wie ein Unterarm, aus Messing und Bronze.«
Michael prüfte sorgfältig den Gesichtsausdruck Tuwja Schajs und konnte nicht die geringste Veränderung entdekken, auch nicht in seiner Stimme. »Und was haben Sie dann getan?« fragte er, und wieder fiel ihm auf, daß Tuwja Schaj keine Ausflüchte suchte, daß er nicht fragte: »Nach was?«, daß er keine Zeit gewinnen wollte.
»Ich bin ins Kino gegangen.«
»Wo?« fragte Michael und kritzelte etwas auf das Blatt Papier, das er vor sich liegen hatte.
»In der Cinematheque«, sagte Schaj, als sei das die selbstverständlichste Sache von der Welt.
»Welchen Film haben Sie gesehen?« fragte Michael und wartete gespannt auf die Antwort.
»Blade Runner«, antwortete Tuwja Schaj, seine Augen leuchteten auf, dann wurden sie wieder matt.
»Wer war bei Ihnen?« fragte Michael und drückte den Kugelschreiber langsam auf das Papier.
»Ich bin allein gegangen.«
»Warum?« fragte Michael.
Tuwja Schaj blickte ihn verständnislos an.
»Warum sind Sie allein gegangen?« fragte Michael noch einmal.
»Ich schaue mir freitags immer allein einen Film an«, sagte Tuwja, und dann, als Erklärung: »Ich gehe überhaupt oft alleine ins Kino. Mir ist das lieber.«
»Und der Film, den Sie gesehen haben, Blade Runner, haben Sie ihn zum ersten Mal gesehen?«
Tuwja Schaj schüttelte den Kopf. »Nein, zum dritten Mal.« Wieder blitzte etwas in seinen Augen auf und verschwand sofort wieder.
»Ich verstehe, daß Sie diesen Film mögen«, meinte Michael beiläufig und sah das erfreute Kopfnicken.
»Und wer saß neben Ihnen?«
Tuwja Schaj zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich wirklich nicht.«
»Haben Sie dort niemanden getroffen? Hat Sie jemand gesehen?«
Nach einigem Nachdenken antwortete Tuwja Schaj: »Ich habe nicht darauf geachtet, ich weiß es nicht.«
»Vielleicht haben Sie noch die Eintrittskarte?
»Nein«, antwortete Schaj entschieden.
»Woher wissen Sie das so genau?« fragte Michael.
»Weil sie mich während des ganzen Films gestört hat, und zum Schluß habe ich sie weggeworfen.«
»Vielleicht hat Sie der Platzanweiser gesehen? Der Kassierer? Irgend jemand?«
»Erstens sind es eine Platzanweiserin und eine Kassiererin, beides junge Mädchen, und zweitens weiß ich es nicht, ich glaube es nicht.«
»Warum? Sie gehen doch oft hin, oder?«
»Ja, aber es ist kein gesellschaftliches Ereignis«, antwortete Tuwja Schaj und senkte die Augen.
»Wir werden es jedenfalls nachprüfen«, warnte Michael, und Schaj zuckte wieder mit den Schultern.
»Wann war der Film zu Ende?« fragte Michael.
»Um Viertel nach vier, halb fünf, ich erinnere mich nicht genau, aber es steht im Programm, wie lange der Film dauert, Sie können es leicht nachprüfen.«
»Gut, das werden wir tun. Und was haben Sie nach dem Film getan? «
»Ich bin herumgelaufen«, antwortete Schaj und blickte zu dem Fenster hinter Michaels Stuhl.
»Wo?« fragte Michael ungeduldig. Der Mann sagte von sich aus nichts, man mußte ihn nach allem fragen. Und trotzdem wirkte er nicht zurückhaltend, eher so, als sei er nicht da.
»Ich bin zu Fuß nach Hause gegangen, durch das Jaffator bis nach Ramat Eschkol.«
»Und was war mit Ihrem Auto? Haben Sie ein Auto?«
Ja, er hatte einen Subaru, aber er hatte ihn morgens zu Hause, auf dem Parkplatz, stehen lassen.
»Gehen Sie immer zu Fuß zur Universität?«
Nein, nicht immer, aber manchmal. Freitags ginge er für gewöhnlich zu Fuß.
Michael wartete auf eine zusätzliche Erklärung, ein Hinweis, wie gesund körperliche Bewegung sei oder wie sehr er die Stadt liebe. Es kam keine.
»Ich möchte die Sache verstehen. Sie sind vom Har haZofim zur Cinematheque gegangen und dann von der Cinematheque nach Hause, und alles zu Fuß?«
Tuwja Schaj nickte.
Auf die nächste Frage antwortete er im gleichen Ton, ohne Ärger in der Stimme: »Nein, ich habe niemanden getroffen.« Aber vielleicht habe er auch nicht aufgepaßt.
»Ich erinnere mich nicht genau, wann ich nach Hause gekommen bin. Am Abend. Es war schon dunkel.« Wieder senkte er den Kopf und musterte den Boden zwischen seinen Füßen und dem Tisch. Michael sah nur die hellen Wimpern und die rötlichen, wie
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