Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
betrachte die Dinge von seinem Blickwinkel aus. Wenn er die Tatsache akzeptiert hat, daß seine Frau ein Verhältnis mit Scha'ul Tirosch hatte, welche Tatsache hätte er dann nicht akzeptiert? Was hätte ihn bis zu einem Mord treiben können?
Laut fragte er: »Dr. Schaj, Sie haben sicherlich gewußt, daß Tirosch auch besondere Beziehungen zu Ruth Duda'i gepflegt hat?«
Tuwja Schaj machte keinen Versuch, die Wut zu verbergen, die plötzlich in seine Augen trat, und antwortete: »Das habe ich nicht gewußt. Warum erzählen Sie mir das?«
»Ich erzähle es Ihnen«, sagte Michael Ochajon und wählte jedes Wort sorgfältig aus, »weil – wenn die Tatsache, daß Tirosch der Liebhaber Ihrer Frau war, Sie nicht dazu getrieben hat, ihn zu hassen – Sie es vielleicht nicht aushalten konnten, daß er sie verließ. Vielleicht war das für Sie ein Motiv, ihn umzubringen?«
»Und wer hat gesagt, daß er sie verließ?« fragte Tuwja Schaj und fuhr fort: »Scha'ul war in der Lage, mehrere Beziehungen nebeneinander zu haben.«
»Trotzdem sind Sie wütend«, stellte Michael fest und blickte Tuwja Schaj direkt in die Augen. Befriedigt stellte er fest, daß der verächtliche Ausdruck aus ihnen verschwunden war.
»Ja«, antwortete Tuwja Schaj, als wundere er sich selbst über seine Reaktion, »aber nicht wegen der Sache, die Sie angedeutet haben.«
»Vielleicht sagen Sie mir, was ich angedeutet habe?« Michael beugte sich vor und stützte sich auf den Tisch.
»Glauben Sie, daß ich mich so stark mit Ruchama identifiziert habe, daß ich ihn ermordet habe, weil er sie vielleicht – wie Sie sagten – verlassen wollte? Das ist eine interessante Version, sogar eine sehr tiefgründige, würde ich sagen, aber sie stimmt nicht.« Wieder erlosch das Interesse in seinen Augen, sein Gesicht nahm den alten, wie toten Ausdruck an. Er senkte den Kopf.
»Weshalb sind Sie dann so wütend?«
Tuwja zuckte mit den Schultern und antwortete: »Ich weiß es nicht genau. Ich stand Scha'ul sehr nahe.«
Michael bemerkte, daß Tuwja nicht näher erklärte, worin genau diese Nähe bestand, und fragte: »Aber?«
»Es gibt kein Aber«, antwortete Tuwja. »Scha'ul Tirosch war jenseits von Gut und Böse, um diesen Ausdruck Nietzsches zu verwenden. Doch ich glaube nicht, daß Sie verstehen, was ich meine.«
»Dr. Schaj«, fragte Michael betont, »sind Sie bereit, sich heute noch einem Test mit dem Detektor zu unterziehen?«
Tuwja Schaj nickte. Er sah nicht so aus, als fühlte er sich bedroht.
Michael bat ihn, im Nebenzimmer zu warten, und machte das Aufnahmegerät aus.
Es war bald vier, als er Tuwja Schaj bat, draußen zu warten, und Eli Bachar zu sich rief. Er bat Eli, Tuwja Schaj auf die Befragung mit dem Detektor vorzubereiten. »Wir könnten ihn ein bißchen schmoren lassen und ihn dann morgen nachmittag zum Detektor schicken«, sagte er. Angestrengt versuchte er, ein Gefühl der Hilflosigkeit zu unterdrücken. Er hatte das Gefühl, als sagte Tuwja Schaj ihm die Wahrheit, daß aber er, Michael Ochajon, diese Wahrheit nicht verstand.
Es war ihm ein Trost, daß ein Verhör mit dem Detektor stattfinden würde. Er hatte Schaj zwar gefragt, ob er noch heute dazu bereit sei, wußte jedoch genau, daß dazu gründliche Vorarbeit nötig war. Die Sonderkommission bereitete den Verdächtigten vor, informierte ihn über die Themen, zu denen er befragt würde, und der Verantwortliche für das Gerät würde ihn ein zweites Mai vorbereiten und abklären, ob er die Fragen auch verstanden hatte.
»Zila hat ein Sandwich für dich, kommst du nicht um vor Hunger?« fragte Eli Bachar und fuhr sich durch die dunklen Locken.
Michael antwortete, er sei wirklich hungrig, und fügte hinzu, er habe es wieder nicht geschafft, die Stromrechnung zu bezahlen. »Am Ende sperren sie mir den Strom«, sagte er, »ich schaffe es einfach nicht, zur Bank zu gehen.«
Eli Bachar brummte verständnisvoll, dann griff er nach dem Hörer des Haustelefons, das klingelte. »Ja, er ist bei mir. Willst du ihn sprechen?« Er schaute Michael an, schwieg einige Sekunden und legte dann den Hörer auf.
»Sie haben Ruchama Schaj geholt, die Frau von Dr. Schaj, wie du es gewünscht hast. Zila sagt, sie wartet im Sitzungsraum.« Wieder warf Michael einen Blick auf seine Uhr, es war kurz nach vier, und wie in einem Video, das vorgespult wurde, tauchte die Stromrechnung in seinen Gedanken auf, Juval, der in der Wohnung auf ihn wartete, Maja, die seit einigen Tagen weder angerufen hatte noch
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