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Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort

Titel: Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Tochter seines früheren Mentors für seine Abschlußarbeit an der Universität. Es war schon nicht mehr Herbst. Der Regen prasselte an die Fensterscheiben des großen Salons in dem neuen Haus in Sch'chonat Ramot, in dem, wie sich herausstellte, der ehemalige Kulturattache der israelischen Botschaft in Chicago wohnte. Schatz sagte, der Gastgeber sei ein entfernter Cousin von ihm. Tali spielte Geige und ihr frischgebackener Ehemann Klavier. Sie spielten die Kreutzersonate, ein Stück, das Michael sehr liebte.
    Als die Tür aufging, hörte Michael ihre Stimme. Zum Glück saß er mit dem Rücken zu ihr. Sie war ohne Schirm gekommen, war tropfnaß und hinterließ Wasserlachen auf dem hellen Teppich, der von einer Wand zur anderen den Boden des riesigen Salons bedeckte. Die Dame des Hauses versicherte ihr, das mache nichts (»es ist ja nur Wasser«), ihre ängstlichen Blicke aber folgten ihr. Nun konnte er sie im vollen Licht sehen. Sie trug ein schwarzes, einfaches Kleid, an der Hüfte gerafft, mit einem runden Ausschnitt und langen Ärmeln. Man hätte unmöglich sagen können, daß sie im üblichen Sinn schön war, aber sie hatte etwas Reizvolles und Verführerisches in ihren Bewegungen und ein Strahlen im Gesicht. Ihr Anblick erhellte sogar das Gesicht des Gastgebers, der lächelnd die Hände übereinanderlegte, auf eine Art, die ihn an den Ehemann Anna Sergejewnas erinnerte, aus Die Dame mit dem Hündchen.
    Sie erkennt mich nicht, dachte er. Er wurde ihr an dem großen Tisch vorgestellt, der mitten im Salon stand. Auf dem Tisch stand ein Kuchen, und die Dame des Hauses antwortete lächelnd auf die wiederholten Fragen, dies sei »eine russische Charlotte, etwas, was ich für die nächste Reise gelernt habe«. Das Teeservice sei »Rosenthal«, wie sie mit schwacher Stimme zu Maja sagte, als diese eine heiße Teetasse auf den Teppich fallen ließ, ohne daß diese zerbrach. Die Dame des Hauses wischte sofort den Fleck weg, während sie einen langen Vortrag über Rosenthal-Geschirr hielt und wie schwer es sei, passende Teile nachzukaufen. Sie bemerkte nicht, daß Maja während der ganzen Zeit Michael anschaute und die Brauen zusammenzog, als versuche sie krampfhaft, sich zu erinnern. Sie bemerkte auch nicht die Nasenflügel, die sich bewegten, als hätten sie ein Eigenleben. Plötzlich, als erinnere sie sich oder als habe sie entschieden, wie sie reagieren solle, lächelte Maja, und in ihren Augen funkelten goldene Sprenkel. Michael trank vorsichtig seinen Kaffee. Seine Hände zitterten. Das ist nichts Besonderes, dachte er. Ich zittere immer, wenn ich eine Frau treffe und sie begehre. Das ist die Eroberungslust, die ich schon Dutzende Male gespürt habe.
    Sie verließen das Hauskonzert, bevor der Wein serviert wurde, wenige Minuten, nachdem der letzte Ton verklungen war. Er brachte sie in seine Wohnung, damals lebte er noch in Romema, nachdem sie zuvor in einem Café ihre »Lebensumstände« erzählt und dann direkt und einfach gefragt hatte, warum sie nicht in seine Wohnung gingen. Sie wisse genau, sagte sie, daß er sie begehre. »Bist du verheiratet?« fragte er und schaute auf den Ring an ihrem Finger. Sie nickte, weigerte sich aber, darüber zu sprechen.
    Noch am selben Abend sagte sie, ihr Eheleben tue nichts zur Sache. »Dort wirst du die Erklärung nicht finden«, sagte sie, und Michael drängte sie nicht. »Aber ich möchte, daß du dich wohl fühlst, nicht bedroht«, erklärte sie, und nur das Lachen, das ihre Worte begleitete, milderte die Bitterkeit und die Aggression in ihrer Stimme.
    Sie verließ seine Wohnung spät in der Nacht, ohne daß sie über ein Wiedersehen gesprochen hatten, aber ihr Gesicht strahlte vor Freude, erwartungsvoll und selbstsicher. Als sie am nächsten Tag anrief, wußte er nicht, wie sie seine Telefonnummer herausbekommen hatte.
    Nun saß sie in dem blauen Sessel, die Beine übereinandergeschlagen, unbeweglich, und Michael betrachtete ihre runden Knie und hätte sie gerne berührt, wagte es aber nicht. Er dachte an die Dinge, die ihm Zila bei Me'irs gesagt hatte, daß er kein Talent habe, das zu entdecken, was sich hinter dem Geschehen verbarg, das »wirkliche Leben«, wie sie es genannt hatte. Er sei eigentlich ziemlich naiv.
    »Hast du gar nichts zu sagen? Überhaupt nichts?« fragte Maja, und Michael hörte das Schluchzen hinter ihrer harten Stimme. Er frage sich, sagte er, was er ihr sagen könne, wie er dieses Durcheinander an Gefühlen, das ihn förmlich betäube, in Worte fassen

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