Ochajon 02 - Am Anfang war das Wort
war ein Uhr nachts, und Michael Ochajon, der gerade Inspektor beim Dezernat für Schwerverbrechen geworden war, jung und geschieden, der Abenteuer überdrüssig, doch noch immer offen für jedes Lächeln einer Frau, hielt an und ging zu ihr hin. Sie lächelte, und sogar im schwachen Licht der Scheinwerfer konnte er die goldenen Tupfen in ihren Augen und ihre vollen Wangen erkennen. Dann sah er ihre runden, weißen Knie und den dicken Ehering an ihrem Finger. Als er sie fragte, ob sie ein Problem habe, sagte sie, das Benzin sei ihr ausgegangen. Sie fügte keine der üblichen weiblichen Entschuldigungen hinzu. Einen Moment überlegte er, ob er von seinem Tank etwas in ihren umfüllen solle, aber beim Gedanken an den Geschmack des Benzins, das er beim Ansaugen unzweifelhaft in den Mund bekäme, wurde ihm übel. Um diese Zeit war keine Tankstelle geöffnet. Schließlich schlug er ihr vor, sie nach Hause zu fahren, das Auto könne sie ja hier stehenlassen. »Ich hänge sehr an ihm, an meinem Peugeot«, sagte sie und tätschelte das Autodach, als handle es sich um ein edles Rennpferd. »Ich hoffe, daß er morgen früh noch da ist.« Das hoffe er auch, sagte Michael und machte ihr die Tür seines Autos auf. Bis heute erinnerte er sich an die herbstliche Luft, die immer kühler wurde, je weiter sie sich Jerusalem näherten, an den Vollmond – sie sagte, daß der Mond demütige Gefühle im Menschen wecke, daß man ihm gegenüber unmöglich gleichgültig bleiben könne –, an die vollkommene Dunkelheit der Straße.
Michael verliebte sich damals in Maja, ohne daß er auch nur die geringste Ahnung davon hatte, obwohl er es eigentlich hätte wissen müssen. In dem Moment, als er die Autotür zumachte, füllte sich der Wagen mit jenem Duft, einer Mischung aus Honig und Zitrone, den er schon seit Jahren suchte, seit er achtzehn war – schon in diesem Moment hätte er wissen müssen, daß es für ihn kein Zurück gab. Sie trug einen weiten, blauen Rock, dazu eine weiße Bluse mit weiten Ärmeln, und sie hatte ein breites Gesicht voller Sommersprossen. Ihre glatten, braunen Haare fielen auf ihre Schultern, und ihre Stimme war ein wenig heiser. Sie erzählte ihm, zwischen Sche'ar Hagai und Castel, von ihrer Arbeit als Lektorin in einem Literaturverlag, von dem Konzert, von dem sie gerade zurückkam, vom Klang der Geige von Schlomo Mintz (»so jung und so dämonisch, manchmal ein richtiger Teufel«). Er lächelte während der ganzen Fahrt vor sich hin, und schon bei Abu-Gosch spürte er, daß er unbedingt herausfinden mußte, ob der Geruch von ihrem Haar stammte oder von Parfüm oder direkt von ihrer Haut. Neben der Blindenschule in Kiriat-Mosche, vor einer blinkenden Ampel, beugte er sich zu ihr hinüber und roch an ihren Haaren. Dann hielt er das Auto in Kiriat-Mosche an. Sie hörte auf zu plaudern, und ihr Gesicht wurde sehr ernst, doch in ihren Augen – im Licht der Straßenlaterne sah er, daß sie braun waren – funkelten noch immer goldene Sprenkel. Als er die Augen beim Küssen öffnete, sah er, daß auch sie die Augen nicht geschlossen hatte. Er wollte sie fragen, ob sie Parfüm benutze, traute sich aber nicht, und dann brachte er sie nach Hause. Später erinnerte sie sich immer mit einem Lächeln daran, wie er sie gefragt hatte, ob er ihre Haare berühren dürfe, und dann, ob er sie küssen dürfe. »Ich hatte angenommen, daß man nur im Kino solche Fragen stellt, und daß alle Menschen spontan wären«, hatte sie schon gleich in jener Nacht gesagt, und später wurde sein Mangel an Spontaneität zu einem ständigen Stein des Anstoßes zwischen ihnen. »Warum mußt du mich fragen? Wenn du nach sieben Jahren noch nicht weißt, ob du kannst oder nicht, was tun wir dann zusammen? Fragt man seine Frau, ob man sie küssen darf? Das ist keine Höflichkeit, das ist eine Beleidigung. Diese Frage bedeutet, daß es keine Intimität zwischen uns gibt.«
Damals war er nach Hause gefahren, froh wie noch nie. Er wußte ihren Namen nicht, und selbstverständlich war nicht darüber gesprochen worden, daß sie sich wiedersehen würden, aber Michael wußte, daß es keine zufälligen, bedeutungslosen Ereignisse auf der Welt gab, und deshalb war er überzeugt davon, daß er sie nun, da er sie einmal getroffen hatte, wieder treffen würde. Doch er hatte nicht damit gerechnet, daß es so schnell passieren würde. Drei Wochen nach der Fahrt von Sche'ar Hagai mußte er eine Einladung zu einem Hauskonzert annehmen, das Tali Schatz gab, die
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