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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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einem traurigen väterlichen Lächeln: »Eine junge Kranken schwester. Sie müssen wissen, daß diese Krankheit seelische Ursachen hat, und wenn Sie irgendeinem Druck ausgesetzt sind, sollten Sie dafür sorgen, daß er aufhört. Ich an Ihrer Stelle würde den Besuch bei einem Psychologen nicht direkt ablehnen.«
    Awigail suchte keinen Psychologen auf. Sie ließ sich ein Jahr beurlauben und überlegte, womit sie während der kriminalistischen Ausbildung, die sie beginnen wollte, ihren Lebensunterhalt verdienen könnte. Eine Bekannte, die bei der Polizei arbeitete, hatte ihr begeistert von den Arbeitsbedingungen dort erzählt, von der Befriedigung, die diese Arbeit einem verschaffte. Also sagte Awigail zu ihrer Mutter, deren immer röter werdendes Gesicht ignorierend, sie wolle zur Polizei gehen. Nach einem Jahr wurde sie zu einem Gespräch gebeten, bei dem Formulierungen fielen wie »eine besondere Begabung« und »beeindruckt von Ih rer Arbeit«, und dann wurde sie einem Team bei der Spezialeinheit zugeteilt, als einzige Frau unter elf Männern. Sarit stieß erst später zu ihnen. Die Polizeiarbeit gefiel Awigail, ihre kleinen Wehwehchen verschwanden, doch die Psoriasis ging nicht weg. Und im Sommer, als sich ihr Zustand eigentlich hätte bessern müssen, entdeckte sie den Fleck unter ihrer Brust.
    Nach ihrer Freundschaft mit Ohad, die ihre ganze Militärzeit dauerte und auch nach der Entlassung aus dem aktiven Dienst, während des Aufenthalts im Kibbuz mit ihrer Nachal-Gruppe, hatte sie keinen Freund mehr gehabt. Andere mochten vielleicht sagen, daß sie die Verletzung, die er ihr zugefügt hatte, als er sie verließ, nie überwunden habe. Das habe sie dazu gebracht, vorsichtig zu sein und niemanden mehr an sich heranzulassen.
    Ihr Literaturlehrer hatte einmal Freud zitiert und gesagt, daß das Ego aus vielen verschiedenen Flicken zusammengesetzt sei, und jeder Verlust, jeder Abschied werde zu einem neuen Flicken, der das Ego aufbaue. Aber Awigail glaubte nicht, daß ihr Ego von solchen Flicken zusammengehalten wurde, sie hatte es nie geschafft, sie als Mittel zum Aufbau ihres Egos zu verwenden. Für sie war jede Trennung nur ein weiterer Riß in der Seele. Jedesmal, wenn ihr jemand näherkam, fühlte sie sich nackt in ihrer Traurigkeit. Noch nie hatte sie jemandem von ihrer Psoriasis erzählt, und trotz aller ärztlichen Ratschläge fuhr sie nicht zum Toten Meer, um dort zu baden, und nie setzte sie ihren entblößten Kör per der Sonne und der Luft aus. Sie wußte, daß an ihrem Verhalten etwas Selbstzerstörerisches war. Tante Esther war mit sechsundvierzig Jahren gestorben, und Awigail fragte sich manchmal, ob es das war, was sie für sich auch wollte.
    Obwohl sie sich manchmal einsam fühlte und sich nach der Umarmung eines Mannes sehnte, nach der Stimme eines Mannes in ihrer Wohnung, nach der Intimität und Zuneigung, die ein Gespräch mit einer Frau bringen konnte, obwohl es Frauen gab, für die sie vorübergehend Zuneigung und Interesse empfand, manchmal sogar den Wunsch nach Nähe, hatte sich Awigail gezwungen, an ihrer selbstgewählten Einsamkeit festzuhalten, an dem Urteil, das sie ohne Worte über sich selbst gesprochen hatte, und hatte nicht zugelassen, daß ihr irgend jemand näherkam. Sie verbrachte ganze Tage mit Lesen. Sie vertiefte sich ganz in ihre Arbeit, die ihr Abwechslung brachte und oft interessant war, in ihre Studien, die sie mit einer seltsamen Mischung von Ernsthaftigkeit, dem Gefühl der Pflichterfüllung und einer gewissen Ironie den Inhalten gegenüber betrieb. Wenn sie abends in ihr Einzimmerapartment zurückkehrte, war sie todmüde.
    Manchmal wachte sie aus Träumen auf, glühend vor Begierde, Träume, in deren Mittelpunkt Ohad stand, den sie seit dreizehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, als er nach Monaten voller Ausreden und Lügen endlich damit herausgerückt war, daß er seine Freiheit wollte, über seine Angst vor Verpflichtung sprach und von seiner Unfähigkeit, sich »an jemand anderen« zu binden. Awigail wußte, daß nicht Ohad schuld an ihrem Leben war, daß er nicht die Ursache ihrer jetzigen Einsamkeit war, noch nicht einmal für deren Vorläufer, sondern etwas Tieferes, und dennoch sagte sie sich manchmal voller Wut, daß alles nur seinetwegen so gekommen war. Wenn sie nachts mit brennendem Körper aufwachte und sein Bild vor sich sah, stand sie auf und verließ das Haus, lief durch die Straßen Tel Avivs und dachte über ihr vergeudetes Leben nach, über die Leere,

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