Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
aufgefallen war. Derselbe wie in Naharis Stimme, als er gesagt hatte: »Sie sind also doch nicht immun gegen alles!«
»Aber das ist es nicht, worüber Sie sprechen wollten, es geht um dieses Bulletin. Was gibt es daran so Besonderes?« Meros schlug die Seiten um. »Oh, das Ende der Baumwollernte, nimmt man das immer noch so wichtig?« Diesmal meinte Michael in seiner Stimme eine traurige Sehnsucht wahrzunehmen, die an die Art erinnerte, mit der er über Osnat sprach. Er blätterte weiter und kam zu der Stelle, die mit dem schwarzen Marker gekennzeichnet war. Er las den Abschnitt interessiert durch, dann seufzte er und klappte das Bulletin zu. »Was haben Sie darin entdeckt?« fragte er. »Ich sehe, daß Sie eine Stelle markiert haben.«
Durch das große Fenster fiel weiches Nachmittagslicht in den Raum, leuchtete in die staubigen Ecken und färbte die Metalleinfassungen der großen Kunststofftische golden. Eine Frau in einem eleganten rosafarbenen Morgenrock und mit lackierten Nägeln schlug mit der Faust auf den öffentlichen Telefonapparat, vermutlich in der Hoffnung, eine Telefonmünze falle heraus. Irgendwo weiter weg lief ein Fernseher.
»Sie sind deswegen den ganzen Weg hierhergefahren?« fragte Meros und wickelte sich fester in seinen Morgenrock, dessen Gürtel zu kurz war, um ihn zusammenzubinden. »Was finden Sie daran so wichtig?«
»Eigentlich weiß ich nicht, ob es so wichtig ist«, sagte Michael, »aber dieser Einschub in den Klammern kommt mir seltsam vor.«
Meros las die Stelle noch einmal durch.
»Ich habe gehofft, sie hätte mit Ihnen darüber gespro chen. Sie hat Ihnen doch in der letzten Zeit so nahegestanden, und ich dachte, vielleicht hätte Sie etwas irritiert.«
Meros seufzte. »Sie hatte verrückte Ideen«, sagte er, »immer ging es um prinzipielle Fragen. Ich bin sicher, wenn Sie die anderen Bulletins durchschauen, finden Sie noch mehr Stellen, die sich mit solchen Dingen beschäftigen.«
»Ja, die habe ich gefunden, aber sie sind nicht wie diese. Das hier ist etwas anderes. Das klingt viel zu real. Welches Gemeinschaftseigentum könnte sie nach Ihrer Ansicht gemeint haben?«
»Ich weiß es nicht. Was gibt es denn im Kibbuz, was jemand unbemerkt verkaufen könnte?«
Michael dachte laut nach. »Nichts Materielles, höchstens so etwas wie Wissen, Informationen«, sagte er, wobei er das letzte Wort fragend aussprach. »Hat sie jemals mit Ihnen über das Werk geredet?« fragte er plötzlich.
»Nein«, antwortete Meros. »Sie hat es kaum erwähnt, außer im Zusammenhang mit bezahlter fremder Arbeits kraft oder Problemen mit der Schichtarbeit. Aber was soll das Werk mit der ganzen Sache zu tun haben?«
»Denken Sie doch mal darüber nach«, sagte Michael und stand auf, um seine Zigarettenschachtel aus der Hosenta sche zu holen. »Was kann man in einem Kibbuz verkaufen, ohne daß jemand davon erfährt? In diesem Kibbuz?«
Aharon kratzte sich die Stoppeln am Kinn, die im Licht grau leuchteten. »Einmal«, sagte er nachdenklich, »hat es eine Geschichte mit einer besonderen Bewässerung gegeben, die Felix erfunden hat, eine Fabrik für Bewässerungsanlagen hat ihm die Idee gestohlen. Aber das ist Jahre her, und es war unmöglich zu beweisen, daß die Idee von ihm stammte, er hatte das Ding niemandem außerhalb des Kibbuz gezeigt. Er hatte ein Modell gebaut, das ständig tropfte, und wir haben es ausprobiert.« Dann wiederholte er in demselben, nachdenklichen Ton: »Das ist Jahre her. Da mals hat man in den Kibbuzim noch nicht an Möglichkeiten industrieller Verwertung gedacht, er hat lediglich ein Problem gelöst, das wir mit den Bewässerungsschläuchen hatten ...« Seine Stimme war immer leiser geworden, bis er ganz schwieg. Er warf Michael einen argwöhnischen Blick zu. »Woran denken Sie jetzt?«
»An das Werk«, antwortete Michael, »an eure Fabrik.«
»Sagen Sie nicht ›eure‹«, sagte Meros scharf. »Zu meiner Zeit gab es die Fabrik für Kosmetikartikel noch nicht. Und über die sprechen Sie doch, oder?«
»Haben Sie eine Ahnung, wieviel die Formel für eine spezielle Gesichtscreme wert ist?« fragte Michael.
»Nein«, gab Meros zu, »das weiß ich nicht, aber das hört sich für mich zu amerikanisch an, um wahr zu sein. Und wenn es so wäre, würde es sich um Industriespionage handeln, zu der keiner aus dem Kibbuz fähig wäre ...« Er merkte selbst, wie fragwürdig seine Worte klangen. »Na ja, inzwischen kann man wohl nicht mehr sagen, jemand aus dem Kibbuz wäre zu
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