Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
wohl schön gewesen sei und wie sie eigentlich mit dem Verlust fertig wurde, mit der Einsamkeit. Er fragte sich auch, was es war, das sie vor ihm verbarg, denn sie war sichtlich beherrscht und auf der Hut. Doch darüber dachte er erst auf dem Weg zum Parkplatz nach, bevor das Mittagessen im Speisesaal anfing, wo er von allen gemieden wurde wie die Pest. Obwohl er mehrere Male aufgefordert worden war, sich doch wie zu Hause zu fühlen, ging er während der Mittagszeit so selten wie möglich hin. Er zog es vor, mit Machluf Levi das Essen zu teilen, Fladenbrot und gefüllte Gemüse, die seine Frau gekocht hatte und die Michael an die Kleinigkeiten erinnerten, die Balilti manchmal von dem Kiosk um die Ecke geholt hatte.
Aharon Meros war von der Intensivstation auf die Innere verlegt worden, in ein Zimmer, in dem nur noch ein weiteres Bett stand. Er lächelte Michael matt an und schob das Tablett mit Resten von Kartoffelbrei zur Seite, dessen Geruch das Zimmer erfüllte. Nachdem er noch die Zeitungen, die auf seinem Bett verstreut waren, auf den schwarzen Besuchersessel gelegt hatte, sagte er: »Warten Sie bitte draußen auf mich, ich stehe schnell auf.«
Während Michael im Flur stand und wartete, dachte er, wie er es schon mehrmals getan hatte, über die besondere Beziehung nach, die sich zwischen ihm und Meros entwik kelt hatte. Obwohl Meros sich von seinem Herzanfall er holt hatte, hatte er seine alte Kraft noch nicht zurückgewonnen, und obwohl er gute Gründe und auch die Möglichkeit gehabt hätte, sich zu entziehen, interessierte er sich für alles, was Michael tat, und zeigte sich kooperativ. Vielleicht ist sein Interesse sogar zu groß, überlegte Michael, der nun im Wartezimmer stand, neben dem Aschenbecher, der an der Marmorwand hing, direkt neben dem großen Fenster. Michael schaute hinaus und betrachtete den Innenhof des Hadassa-Hospitals in Ein Kerem. Meros, in einem gestreiften Morgenrock über seinem blauen Pyjama, kam jetzt langsam auf ihn zu und deutete auf die Sessel in der Ecke des Zimmers.
»Ein Parlamentsmitglied bekommt hier kein Einzelzimmer?« fragte Michael.
Meros antwortete, im allgemeinen sei das so. »Aber gestern haben sie mich gefragt, ob sie ein weiteres Bett reinstellen dürften, weil die Station überfüllt ist. Hätte ich da etwa Theater machen sollen?« Und mit dem gezwungenen Lächeln, das so typisch für ihn war, fügte er hinzu: »Noblesse oblige, wissen Sie, aber in meinem Fall ist es das Gegenteil. Schließlich bin ich ein Diener des Volkes.«
Auch als er das Bulletin in der Hand hielt, lächelte Meros. »Früher war ich mal der Redakteur von diesen Dingern da«, sagte er mit einem träumerischen Blick. »In Wirklichkeit hat sich nichts geändert. Die gleichen Themen, schauen Sie diesen Bericht über eine Sicha an: Diese da sind als Chawerim aufgenommen worden, der da ist für ein Jahr beurlaubt worden, und hier hat man für ein paar Leute das Wohnungsproblem gelöst. Die Veränderungen sind nur scheinbar, in Wirklichkeit ist alles so, wie es immer war.«
»Nicht ganz«, erinnerte ihn Michael.
Meros nickte. »Nein, nicht ganz, wenn man an unseren Fall denkt. Bald werden Sie mich auch mit dem Detektor verhören. Ich habe zu dem Offizier gesagt, der heute hier war, der mit dem Goldring, ich glaube, er heißt Levi, daß ich in einer Woche entlassen werde, und ich habe nichts gegen ein solches Verhör einzuwenden.«
Michael nickte.
»Ich würde seine Zustimmung mit Vorsicht genießen«, hatte Nahari warnend gesagt. »Er könnte der Sache leicht aus dem Weg gehen. Warum tut er das nicht?«
»Was glauben Sie, welches Motiv er hat?« hatte Michael gefragt.
»Schauen Sie«, hatte Nahari in einem philosophischdidaktischen Ton erklärt, »wenn es sich um eine Geschichte zwischen einem Mann und einer Frau handelt, weiß keiner außer diesen beiden genau, was wirklich vor sich geht. Sogar wenn sie mit anderen darüber reden, und erst recht, wenn sie es geheimhalten. Was wissen wir wirklich über ihn?«
»Ich habe hier sehr viel Zeit zum Nachdenken«, sagte Meros. »Über das Leben im allgemeinen, über Osnat und alles. Aber je mehr ich darüber nachdenke, um so schwerer fällt es mir, das alles zu verstehen. Verrückt. Ich kann mir noch nicht mal vorstellen, wie die Leute im Kibbuz das alles aufnehmen, die Tatsachen selbst und die Anwesenheit von Ihnen und Ihren Leuten. Wie kommen sie damit zurecht?« In seiner Stimme lag ein Unterton von Befriedigung, der Michael schon öfter
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