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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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hören. Ich erinnere mich genau daran, wie Srulke mich in die Gruppe zurückgebracht hat, ins Kinderhaus, als ich eines Nachts zu ihnen gelaufen war. Mir ist etwas Wichtiges passiert, nachdem Osnat auf diese Art gestorben war, und ich habe das Bedürfnis, darüber zu sprechen. Ich werde alles sagen, was mich bedrückt, und ihr werdet mir zuhören. Es soll so sein wie in der › Kehilatenu ‹ . Ich habe diese Sammlung von Seelenoffenbarungen ebenfalls gelesen, und mir fiel dabei auf, wie sehr sich die Kibbuz-Versammlungen doch geändert haben. Sie sind nur noch dazu da, das zu erlauben und jenes zu beurteilen. Was wißt ihr überhaupt über uns? Vielleicht, wann wir angefangen haben zu laufen und wann wir unseren ersten Zahn bekommen haben, aber über unser Inneres wißt ihr nichts. Nie hatten wir die Gelegenheit, etwas zu sagen, nur getarnt als Witze und Sketche, die wir für gemeinsame Feste und Bar-Mizwa-Feiern geschrieben haben. Ich sage nicht, daß daran nicht auch etwas Schönes war, aber ich spreche auch von den traurigen Nächten, in denen statt der Mutter und dem Vater eine Ersatzmutter und ein Ersatzvater da waren, von allen möglichen Ersatzbetreuern, wie dem jungen Mann vom Nachal, der Noga Puder zwischen die Beine gestreut hat, als es ihr dort weh tat. Im Kibbuz ging das herum als guter Witz.«
    Michael hörte Awigail heftig atmen und bemerkte, daß sie sich mit den Händen über die Arme strich.
    »Mirjam, meine Mutter«, sagte Mojsch mit erstickter Stimme, »die ihr alle gekannt habt, war eine einfache, gradlinige Frau, ich brauche sie euch nicht zu beschreiben.« Er wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Sie hat ihr Leben lang hart gearbeitet, und bei den Sichot hat sie den Mund nicht aufgemacht. Es gab kein treueres Mitglied als sie.« Er schaute sich um. Keiner sagte ein Wort, keiner bewegte sich. Alle starrten Mojsch an, manche überrascht, manche er regt. »Meine Mutter Mirjam«, fuhr er fort, »hat mir oft erzählt, wie ihr Golda, unsere erste Betreuerin rausgeschmissen habt. Ich weiß ihren Namen nur, weil meine Mutter ihn manchmal erwähnt hat. Als wir achtzehn Mo nate alt waren, habt ihr Golda rausgeschmissen. Aber was war bis dahin, frage ich euch, was?« Nichts von seiner gewohnten Selbstbeherrschung war zu merken, keine Spur von Freundlichkeit, als er jetzt schrie: »Wo wart ihr, bis wir achtzehn Monate alt waren? Wo? Meine Mutter erinnerte sich an mich, wie sie gesagt hat, nur als einen kleinen süßen Tolpatsch, der hinter seiner Betreuerin herwackelt, dem der Rotz aus der Nase und den Augen läuft und der sich an ihr Kleid oder ihre Schürze klammert, und daß sie die Hände des kleinen, süßen Tolpatschs abschüttelt. Wo wart ihr damals?« Der Schrei galt Dworka, sie senkte den Blick nicht. Sie war so starr, daß Michael Angst hatte, sie könnte aufhören zu atmen. »Das ist es, was ich wissen will: Wo wart ihr damals? Wo wart ihr in den Nächten, in denen wir Angst hatten? Wie habt ihr zulassen können, daß Mütter ihre Babys nur eine halbe Stunde am Tag sehen? Woher habt ihr das Recht genommen zu entscheiden, daß die Familie Gift für die Gemeinschaft ist? Das will ich heute wissen. Und Osnat hatte recht, als sie sagte, daß ihr euch gegen diese Änderung stellt, weil ihr ein schlechtes Gewissen deswegen habt, das hat sie gesagt. Um euch zu schützen und um euch zu rechtfertigen, wollt ihr, daß wir diesen Wahnsinn beibehalten.«
    Ein Murmeln war zu hören, aber Mojsch winkte den Einwand ab. »Sagt jetzt nicht, ich soll mich beruhigen«, schrie er. »Das ist jetzt unwichtig, ob ich ruhig bin oder nicht. Ich sage euch: Es reicht! Es reicht schon lange! Vielleicht hattet ihr Gründe, ich weiß es nicht, vermutlich hattet ihr Gründe, das schwere Leben und alles, aber wir brauchen diesen Blödsinn heute nicht weiterzumachen. Ich will meine Kinder abends zudecken, wenigstens die, die ich noch zudecken kann. Ich will hören, wenn sie im Zimmer nebenan husten, und wenn sie einen Alptraum haben, möchte ich sie zu mir ins Bett nehmen. Ich will nicht, daß sie über einen elektronischen Babysitter überwacht werden, ich will nicht, daß sie nachts durch die Dunkelheit laufen müssen, um zu uns zu kommen, nur um am Ende vor einer verschlossenen Tür zu stehen oder um ins Kinderhaus zurückgebracht zu werden. Sie sollen in meiner Nähe sein, alles andere ist nicht wichtig.«
    Er schluckte, dann wanderten seine Augen über die Zuhörer, die Leute in der ersten Reihe. »Ihr werdet euch

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