Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
unterschied er sich wirklich von Machluf Levi, der in seinen Augen nichts von einem Schwerenöter hatte und bis jetzt auch kein einziges Mal befreiend gelacht hatte. »Demütig sein heißt, dich nicht so ernst zu nehmen, jedenfalls nicht die ganze Zeit«, hatte Jacques Michael mehr als einmal erklärt.
Auch Jacques hatte einen Goldring am rechten kleinen Finger getragen, und wenn er Michael eine Standpauke hielt, hatte er ihn immer gedreht. Michaels Vater war gestorben, als er noch ein Kind war, und seine Mutter hatte ihren jüngeren Bruder mit der Aufgabe betraut, in den seltenen Fällen, in denen der Junge zur Ordnung gerufen werden mußte, die Vaterstelle einzunehmen, so zum Beispiel, als Michael nach dem Tod seines Vaters wochenlang nichts essen wollte oder als er darauf bestand, in ein Inter nat nach Jerusalem zu gehen, oder damals, als er für zwei Tage einfach verschwunden war.
Jacques war zwei Jahre nach Michaels Scheidung gestorben. Während der ganzen Zeit seiner Ehe hatten sie sich einmal im Monat außerhalb des Hauses zu einem Männerabend getroffen, in einem Fischrestaurant in Jaffo, in dem der Onkel fast wie ein Sohn des Hauses behandelt wurde. Nie hatte er eine kritische Bemerkung über Nira gemacht, und ihren Eltern Josek und Fela gegenüber hatte er sich immer vorbildlich verhalten. Felas Herz hatte er gleich am ersten Abend erobert, als er ihre gefilte fisch mit einem vollkommen ernsten Gesicht in allen Tönen lobte und um eine zweite Portion von dem Kompott bat, auf das sie so stolz war. Doch was Josek und Fela, die auch Michael, ihrem Schwiegersohn, immer ein gewisses Mißtrauen entgegenbrachten, endgültig für Jacques einnahm, war die Gelassenheit, die er ausstrahlte, seine Unbefangenheit und seine vollendeten Manieren. Schon als er zum ersten Mal bei ihnen eingeladen war, verhielt er sich, als habe er schon unzählige Male am Tisch reicher Diamantenschleifer polnischer Abstammung gesessen. Und als er nach Juwals Geburt zu ihnen kam, vier Monate nach der Hochzeit, behandelte er Nira, als habe er sie ganz besonders ins Herz geschlossen. Jacques war der einzige Mensch aus Michaels Familie, der Nira dazu brachte, ihn erfreut und manchmal sogar errö tend anzulächeln. Er flirtete ganz offen mit ihr, auf seine subtile Art, nie kam er ohne Blumen, und nie blieb er zu lange.
Er lebte allein in seinem Junggesellenapartment im Zentrum von Tel Aviv, von wo aus er zu seinen mysteriösen Reisen aufbrach. Michaels Mutter hatte sich immer Sorgen um ihn gemacht – dabei war Onkel Jacques sechzehn Jahre älter gewesen als er selbst –, und sogar jetzt, Jahre nach ihrem Tod, hatte Michael noch immer ihre Stimme im Ohr, wie sie über ihren kleinen Bruder lamentierte, der »noch nicht mal eine Frau hat, die für ihn sorgt«. Michael liebte seinen Onkel und war stolz auf ihn.
Juwal war sieben, als Jacques starb, und später wollte er immer, wenn er traurig war, Geschichten von Onkel Jacques hören. Manchmal holte er das Fotoalbum aus der Schlafzimmerkommode und sagte: »Komm, erinnern wir uns an Onkel Jacques«, fing an zu blättern und freute sich, wenn er ein Foto von ihm entdeckte. »Da ist ein Bild von ihm, als ihr auf dem Hermon Ski gefahren seid, hier ist er beim Surfen ...« Manchmal brach Juwal in Weinen aus und benutzte Onkel Jacques als Ausrede, als Grund, der es ihm erlaubte, einfach zu weinen.
Einmal, als Juwal vierzehn war und mit Michael über Josek, seinen Großvater mütterlicherseits, lästerte, sagte er: »Aber weißt du was? Über Jacques sagt sogar er nichts Schlechtes. Kein einziges böses Wort. Er seufzt auch nicht, wenn er über ihn spricht. Er lächelt sogar.« Juwal seufzte und betrachtete das Schwarzweißfoto, auf dem Michael zu sehen war, auf dem Rücksitz eines schweren Motorrads sitzend, die Arme um die Hüften von Onkel Jacques gelegt, lachend und mit vor Freude funkelnden Augen. »Schade, daß er gestorben ist«, sagte Juwal traurig und beugte sich über das Bild. »Ich habe dich nie so froh gesehen wie damals, als du mit ihm zusammen warst.« Er blickte seinen Vater forschend an.
»Ich habe ihn wirklich geliebt«, sagte Michael. Und schnell fügte er hinzu: »Aber dich liebe ich auch.«
Jacques war der einzige Mensch, der sich niemals über Michaels ängstliche Sorge um seinen Sohn lustig gemacht hatte. Einige Tage nach Juwals Geburt war Jacques mit einem riesigen, flauschigen Teddybär erschienen. »Das habe ich mich nie getraut, ein Kind zu haben«, flüsterte er Michael
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