Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
das nicht unbedingt die Wahrheit sein mußte. Sie wusch die Spuren des Erbrochenen weg, das trotz des Kittels auch ihr Kleid beschmutzt hatte, und eine große Last sank auf ihr Herz, brachte ihre Beine zum Zittern, während sie Badezimmerspray im Raum versprühte, um die Reste des unangenehmen Geruchs zu vertreiben. Dann setzte sie sich an den kleinen Tisch in der Küche, stützte den Kopf auf die Arme, schloß die Augen und wartete.
Fünftes Kapitel
Michael Ochajon wackelte unaufhörlich mit seinem Stuhl vor und zurück. Manchmal faltete er die Hände, dann wieder legte er sie vor sich auf den Tisch. Aber weder die Zigaretten, die er eine an der anderen anzündete, noch die zurückhaltenden Bemerkungen von Imanuel Schorer, dem Chef der Kriminalpolizei, halfen, die Anspannung, das Gekränktsein und den Ärger, die Inspektor Machluf Levi ausstrahlte, zu besänftigen. Machluf Levi, in Uniform, strich unentwegt eine unsichtbare Falte auf seiner Hose glatt und wischte sich immer wieder mit einem Taschentuch die Stirn. Die Art, wie er sich leicht vom Stuhl erhob, um das Taschen tuch aus seiner Tasche zu ziehen, es anschließend sorgfältig zusammenfaltete und wieder an seinen Platz zurücksteckte, hatte etwas Zeremonielles an sich. Jedesmal, wenn er zu sprechen begann, senkte er den Kopf, starrte einen unsichtbaren Fleck auf dem Boden an und drehte gleichzeitig an dem dicken Goldring, der seinen rechten kleinen Finger schmückte, einen dünnen, gepflegten Finger, dann streifte er mit einer impulsiven Bewegung die Asche seiner Zigarette in dem gläsernen Aschenbecher ab, bevor er den Kopf hob und den Mann ihm gegenüber anschaute.
Michael Ochajon schnippte seine Asche in die leere Kaffeetasse, in den schlammigen Satz, und wenn er eine Kippe nach der anderen hineinwarf, war das Zischen zu hören, mit dem die Glut erlosch.
Brigadegeneral Jehuda Nahari, Chef der Spezialeinheit für Schwerverbrechen, war der einzige Mensch im Raum, der dem Fall gegenüber eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag legte, so als ginge ihn das alles nicht viel an. Manchmal wirkte er direkt gelangweilt, und je länger die Sitzung dauerte, um so kürzer wurden die Abstände, in denen er auf seine Uhr schaute, und am Schluß begann er sogar, mit den Fingern auf die Tischplatte zu trommeln, ein rhythmisches, nervöses Trommeln, das nur unterbrochen wurde, wenn er das Kinn auf die Hand stützte.
Als Michael sich erlaubte, einen lauten Seufzer auszustoßen, sagte Schorer: »Wie ich bereits gesagt habe, es ist nicht meine Entscheidung, daß der Fall an eine Spezialeinheit überwiesen wird, sondern die des Polizeipräsidiums, und das läßt keine Diskussion zu. Aber andererseits gibt es die Möglichkeit, meiner Meinung nach eine optimale Möglichkeit, jemanden von der Distriktpolizei Lachisch hinzuzuziehen, wenn Sie einverstanden sind.«
Zum vierten Mal bei dieser Sitzung ließ Machluf Levi seine Stimme hören. Gekränkt und zornig sagte er: »Und das alles wegen diesem Brief? Obwohl nichts strafrechtlich Relevantes dran ist?«
Schorer schwieg.
»Sie wissen, daß es nicht nur der Brief ist«, sagte Machluf Levi. »Wenn das in Aschkelon passiert wäre, hätten Sie den Fall auch bei zwei Briefen nicht an die Spezialeinheit weiter gegeben. Was erzählen Sie mir für Geschichten! Zum Teufel mit dem Fall, aber sagen Sie wenigstens die Wahrheit.«
Michael wich dem gekränkten Blick aus und schaute Schorer wie ein loyaler, gehorsamer Schüler an.
»Sie sollten es nicht persönlich nehmen«, meinte Schorer versöhnlich.
»Wie soll ich es denn sonst nehmen? Sagen Sie mir doch, wie ich es nehmen soll«, protestierte Machluf Levi und schlug mit seinem goldenen Feuerzeug auf den Tisch. »Was ist? Glauben Sie etwa, niemand außer den Leuten vom Landeskriminalamt versteht seine Arbeit? Es gibt wichtige Fälle, und es gibt unwichtige Fälle, und wieso sollen wir uns unser ganzes Leben lang mit dem Mord an einem Pfuscher hier und einem Ganoven dort und einer Hure Gott weiß wo beschäftigen? Sagen Sie mir doch wenigstens die Wahrheit.«
Der Vorteil an diesem Ausbruch, dachte Michael Ochajon, der sich bemühte, die Wand vor sich anzuschauen und den Ausbruch nur aus den Augenwinkeln mitzubekommen, wie um zu vermeiden, daß die Kränkung und die Wut auch ihn trafen – der Vorteil ist, daß alle unterschwelligen Gefühle und Motive, die während der ganzen Sitzung spürbar gewesen sind, nun ihren Ausdruck gefunden haben. Er hatte den Mut, dieser Inspektor
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