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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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Osnat zu einer Nonne wurde. Einfach eine Nonne. Fanatisch, fast gefährlich.« Dworka atmete schnell.
    »Gefährlich«, sagte Michael.
    »Für sich selbst. Gefährlich für sich selbst. Getrieben. In Wirklichkeit besaß sie keine Kraft, andere zu führen. Sie wollte alles umdrehen, alles verändern, allem ihren Stempel aufdrücken. Wirklich ihren Stempel. Sie weckte Wider stand und hielt ihn nicht aus. Da fehlte es ihr an Kraft. Und ihre Ideen weckten viel Widerstand.«
    »Zum Beispiel?« wollte Michael wissen.
    »Es war schon davon die Rede, daß sie die Übernachtung der Kinder bei ihren Familien einführen wollte. Doch im Vergleich zu anderen Kibbuzim ist das keine grundsätzliche Neuerung – die nationale Kibbuzbewegung hat darüber schon entschieden, die Sache ist akzeptiert. Osnat wollte etwas anderes. Sie wollte eine Art Altengemeinschaft gründen, ein Altersheim, wie Fanja es nennt, und dagegen gab es großen Widerstand.«
    »Warum wollte sie das?« fragte Michael. Er wollte Details, Namen, und Dworka weigerte sich, sie ihm zu nennen, auch wenn sie andere Motive zu haben schien als Mojsch. Sie weigert sich einfach, dachte Michael, die Bedeutung von Details anzuerkennen, sie versucht, alles auf die Höhe unvermeidbarer Prozesse zu heben, in denen Details nur die Rolle zufälliger Phänomene spielen. Nur so kann sie sich schützen, vor ihrer Trauer, vor Dingen, die sie vielleicht zu lange nicht hatte wahrhaben wollen.
    »Na ja, es gibt viele ältere Chawerim, und die neuen Prozesse, von denen ein Teil gut und richtig ist, kommen nicht so leicht in Gang, weil sie von den Alten aufgehalten werden. Osnats Hintergedanke war es, die Alten woanders unterzubringen ... Viele von meiner Generation, den Gründern des Kibbuz, sind müde, sie übernehmen keine Funktionen mehr, nicht alle sind gesund, aber alle wollen am Entscheidungsprozeß beteiligt sein. Mir kam das Ganze unsinnig vor, das habe ich ihr auch gesagt. Außerdem wäre ihr Plan bei der Abstimmung ohnehin nicht durchgekommen.« Dworka verzog die Lippen.
    Stur kehrte Michael zu Osnats Privatleben zurück.
    »Ja«, sagte Dworka, »die Position als Sekretär kann jemandem Feinde machen, vor allem, wenn man wenig flexibel ist, und Osnat war nicht flexibel. Aber ihr Privatleben war makellos, abgesehen von ihrer gesellschaftlichen Abstinenz, über die ich immer wieder mit ihr gesprochen habe, seit sie neun war.« Ein leichtes, trauriges Lächeln erschien auf Dworkas Gesicht, ein Lächeln, das eigentlich nur aus einem leichten Anheben ihrer Mundwinkeln und einem zarten Beben ihrer welken Wangen bestand. »Schon mit neun hatte sie große Angst um ihre Privatsphäre.« Sie schüttelte sich. »Und außerdem ist Ihr ganzer Ansatz falsch. Es geht hier nicht um Feinde im billigen Sinn des Wortes.«
    »Und sie war mit Ihrem Sohn verheiratet«, sagte Mi chael, der es endlich wagte, dieses Thema anzuschneiden. Ihm wurde klar, daß ein Teil der Ehrfurcht, die er für sie empfand, damit zu tun hatte, daß sie eine Mutter war, die ihr Kind verloren hatte. Ein Kind zu verlieren war schon immer ein extrem sensibles Thema für ihn, sogar in einer Situation wie dieser.
    »Ja«, bestätigte Dworka, »sie war mit Juwik verheiratet. Psychologen würden sagen, es handle sich dabei um eine Wahl, die es ihr ermöglichte, noch mehr Fuß zu fassen im Kibbuz, aber sie war sich dessen nicht bewußt. Und Juwik war ein besonderer Mensch.« Sie sagte das in einem sehr sachlichen Ton, als rede sie von einem Fremden. Michael hielt die Luft an. »Alle Mütter sagen dasselbe über ihre Söhne, aber Juwik war vollkommen. Er war ein Mann der Arbeit, einer der letzten, mit einer reinen Ideologie. Nichts war ihm so teuer wie dieses Land.«
    Michael wartete schweigend.
    »Wir haben so viele Jahre auf ihn gewartet.« Dworka blickte aus dem Fenster, während sie weitersprach. »Zwei Kinder habe ich vor ihm verloren. Sogar Osnat hat nichts davon gewußt. Ja, das war eine schlimme Zeit.« Michael verstand nicht, womit er Dworkas Offenheit verdient hatte, und fragte sich, ob sie das erste Anzeichen eines Zusammen bruchs war. Doch Dworka sprach weiter wie bisher. »Ju wik kam zu uns, nachdem ich zwei Kinder verloren hatte, sie starben bei der Geburt.« Sie seufzte. »Es waren andere Zeiten, härtere, Sie können es in der Broschüre nachlesen, die wir zu unserem Jubiläum herausgebracht haben, aber auch dann werden Sie nicht verstehen, von was ich spreche. Es ist schwer, die erste Begegnung mit dieser Erde zu

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