Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren
lang nicht und gerät unter Druck, kann er gefährlich werden.«
»Aber dann, entsprechend Ihrer Beschreibung, ist eine sorgfältig geplante Parathionvergiftung das letzte, was Sie erwarten würden, stimmt's? Er würde sein Opfer körper lich angreifen.«
Wieder begann die Zeremonie mit der Pfeife, die langsamen, gemessenen Bewegungen. Wieder sprach er vorsichtig und wohlüberlegt, ohne Pathos. Elroi nickte. »Grundsätz lich haben Sie recht, aber in diesem Fall, mit dieser Diagnose, kann man das nicht ausschließen. Ich würde es je denfalls nicht tun. Ein Paranoider bei dieser Medikation ist ... er hat das Potential, gefährlich zu werden.« Nach einer kurzen Pause fügte er, emotionaler als zuvor, hinzu: »Manchmal verstehe ich sie einfach nicht.«
»Wen?« wollte Michael wissen.
»Diese Kibbuznikim, ihre hartnäckige Entschlossenheit, alle bei sich zu Hause zu behalten. Sie spielen mit dem Feuer. Mit einer so hohen Medikation gehört er in eine Anstalt. Überhaupt, dieser ganze Fall erstaunt mich sehr.«
»Was erstaunt Sie?« fragte Michael.
»Ich habe zufällig auf dem Gebiet einige Untersuchungen gemacht«, sagte Elroi in wichtigtuerischem Ton, der ihm gar nicht bewußt zu sein schien. »Ich habe alle möglichen Fragen untersucht, vor allem aber das Problem der Aggression. Damals habe ich im Auftrag des Militärs die Aggressivität von Kibbuz-Geborenen mit der anderer verglichen. Es handelte sich um eine großangelegte Untersuchung. Ich kann Ihnen Fotokopien der Ergebnisse zur Verfügung stellen, wenn es Sie interessiert.«
»Ich bin an allem interessiert, was mit diesen Fragen zu tun hat«, sagte Michael, und meinte es auch so. »Aber sagen Sie mir bitte, was Sie so erstaunt.«
»Wir hatten drei Gruppen, und was die Kibbuznikim auszeichnete, diejenigen, die nicht weggegangen waren, sondern noch dort lebten, war die Tatsache, daß sie ihre Aggressionen nicht gegen andere richteten, sondern gegen sich selbst. Das ist vermutlich auch der Grund, warum es in den Kibbuzim noch keinen Mord gegeben hat. Ich habe damals auch einen Aufsatz zu diesem Thema in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, ich muß hier irgendwo noch Kopien davon haben ...« Er drehte sich um, zu dem Bücherschrank mit den Glastüren.
»Es gab aber einmal einen versuchten Mord«, erinnerte ihn Michael.
»Ja. Aber der war so durchsichtig, so zum Scheitern verurteilt, daß man sogar in diesem Fall von Selbstdestruktion sprechen kann. Sie meinen doch die Frau, die den Giftmord mit Luminal versucht hat? Übrigens, sie war ebenfalls emotional sehr gestört. Aber ein einziger Fall wäh rend der ganzen Jahre der Kibbuzbewegung, das ist doch sehr erstaunlich. Da gab es noch einen anderen Fall, den Ausbruch einer Psychose, die mit einem Mord endete. Aber auch das war nicht mit dem zu vergleichen, was Sie jetzt hier haben.«
»Und was tun sie also mit ihren Aggressionen? Was heißt das, sie richten sie gegen sich selbst? Wie nennt man das in der Praxis?«
»Nun, betrachten Sie sich doch mal die Selbstmordrate, es gibt viele Selbstmorde. Das ist eine weitaus akzeptierte Lösungsmöglichkeit für Konflikte, Streß oder Aggression. Sie wissen doch, daß Selbstmord ein Akt der Aggression ist?«
»Ich habe davon gehört«, sagte Michael. Er dachte an den alten Hildesheimer vom Jerusalemer Psychologischen Institut und fragte sich, was er wohl über Kibbuzim wußte und ob es vielleicht möglich war, ihn auch diesmal zu Rate zu ziehen.
»Wo hat er denn gearbeitet, Ihr Patient?« fragte Elroi.
»In der Fabrik. Sie haben eine große Fabrik für Kosmetikprodukte. Dort kümmert sich ein Kanadier um ihn, der schon zehn Jahre im Land ist, vermutlich auch ein seltsamer Kauz, mit dem hat er sogar eine Beziehung. Ich muß noch mit ihm sprechen.«
»Ich würde versuchen herauszubekommen, ob er etwas über Parathion weiß, und was für eine Beziehung er zu der Ermordeten hatte.«
Michael berichtete von der Schwangerschaft. Elroi hörte sehr interessiert zu, nickte dann und sagte: »Nun, Sie werden noch vieles abklären müssen. Wie der Kibbuz es überhaupt geschafft hat, einen paranoiden Schizophrenen zu produzieren, ist übrigens auch eine interessante Frage.« Seine Stimme klang nachdenklich. Er klopfte mit dem Pfeifenrand auf den runden Blechaschenbecher. »Wissen Sie, wir haben einmal eine große Untersuchung über psychische Erkrankungen in Kibbuzim gemacht. Das Ergebnis war, daß es, was die Anzahl psychisch Erkrankter betrifft, keinen Unterschied
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