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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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er hinzu: »Jedenfalls mit dem, was sie als Leben betrachtete.«
    »Wann früher?« fragte Michael.
    »Vielleicht damals, als wir Kinder waren. Aber auch damals nicht, wenn ich es mir genau überlege. Sie hatte Wut, eine ungeheure, schreckliche Wut, aber auch diese Wut war ein Zeichen für ihre Lebenskraft, für ihre unglaubliche Vitalität. Nein, sie hätte keinen Selbstmord begangen, da bin ich sicher.«
    Wieder hörte Michael Osnats Lebensgeschichte. Aharon Meros hatte ihre Mutter nie gesehen. Er hielt sich lange mit der Beschreibung von Osnats Schönheit auf und kam dann, langsam, als wolle er sich vor allem selbst ein Bild machen, auf ihre große Angst zu sprechen, »die Kibbuzschönheit zu sein, eine bequeme Matratze für die männlichen Mitglieder. Sie hatte so eine weibliche Ausstrahlung, sie war so sexy ... was weiß ich? Sie haben den Brief ja gelesen.« Seine Stimme klang erstickt.
    Michael schwieg.
    »Dieses ›Projekt‹, wie sie es genannt hat, hat etwas Tragisches«, sagte Meros. »Sie hat sich damit beschäftigt, und es war, als hätte sie einen Rachefeldzug begonnen, ohne überhaupt zu wissen, was sie tat.« Er strich sich über die Stirn. »Es hatte etwas Tragisches – vielleicht ist das Wort zu stark, sagen wir mal etwas Trauriges –, daß wir beide dort nie wirklich dazugehören konnten. Vor allem für Osnat war es schlimm. Immer war diese Dworka hinter einem her und verlangte Vollkommenheit. Immer hatte man, wenn man vor ihr stand, das Gefühl, nackt zu sein, durchsichtig, als hätte man etwas Schlimmes getan, auch wenn man keine Ahnung hatte, was es war. Und wenn man es noch nicht getan hatte, so würde man es bestimmt noch tun oder hatte vor, es zu tun, egal – es reichte ja schon, wenn man zuerst an sich gedacht hat und nicht an die anderen.« Und dann, plötzlich: »Wenn es kein Selbstmord war, was war es denn sonst?«
    Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, das wußte Michael, jetzt würde Meros nichts mehr sagen, wenn er ihm nicht alles genau erklärte. »Wir glauben, daß jemand sie vergiftet hat«, sagte er. Mit dem Gefühl, eine Handgranate entsi chert zu haben, wartete er.
    Aharon Meros' Gesicht zeigte Unglauben, Angst und all die Gefühle, die Michael auf den Gesichtern Mojschs und der anderen gesehen hatte. Doch dieser Ausdruck machte sehr schnell Nachdenklichkeit Platz. Michael sah, wie seine Augen aufleuchteten, als habe Meros so etwas erwartet. Im Gegensatz zu den anderen reagierte er so, als sei er fähig, die Mord-Hypothese hinzunehmen, ja sogar zu akzeptieren. Nach dem ersten Schock zeigte sein Gesicht so etwas wie Zustimmung.
    »Sie sind nicht erschrocken«, stellte er fest.
    »Es kommt mir unwirklich vor, irreal«, bekannte Meros. »Ich empfinde gar nichts. Einfach nichts. Keine Überraschung, kein Erschrecken, nichts. Wahrscheinlich hat ihr Tod mich genug getroffen. Wissen es die anderen?«
    »Nur wenige. Nur Mojsch und die Familie, die Leute eben, die es erfahren mußten«, sagte Michael.
    »Wie haben sie reagiert?« fragte Meros, und ohne auf eine Antwort zu warten, sagte er mit einem bitteren Lächeln: »Sie können einem leid tun. Sie sind so naiv. Das ist das Ende.« In gehässigem Ton fügte er hinzu: »Ich hätte Dworka gerne dabei gesehen. Ich hätte gerne gehört, was sie jetzt sagt. Sind Sie wirklich sicher?«
    Michael nickte. Dann sagte er: »Außerdem möchte ich Sie bitten, einem Test mit dem Detektor zuzustimmen.«
    Meros' Gesicht war blaß, angestrengt und sehr müde. Er nickte. »Kein Problem«, sagte er.
    Er berief sich nicht auf seine Position, die Frage nach seiner Immunität kam nicht auf. »Kein Problem. Ich kann Ihnen auch sagen, wo ich zu welcher Stunde war. Ich habe keine Geheimnisse. Osnat war mein einziges, und jetzt ist auch das kein Geheimnis mehr.«
    »Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte Michael, froh, endlich die einfache Formulierung gefunden zu haben, die ihm für sein Gegenüber passend zu sein schien. »Haben Sie irgendeine Idee, einen Hinweis?«
    »Sie meinen, wer es getan haben könnte?« fragte Meros und wischte sich die Stirn ab. Die Klimaanlage war eingeschaltet, und es war auch nicht besonders heiß in Jerusalem, aber er schwitzte ununterbrochen. »Ich habe noch nicht ganz kapiert, was passiert ist. Aber es gibt etwas, was ich Ihnen nicht gesagt habe.« Erst dann erzählte er zum ersten Mal von der jugendlichen Gestalt in kurzen Hosen, die er in der Dunkelheit wahrgenommen hatte.
    »Haben Sie eine Ahnung, wer das gewesen sein

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