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Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren

Titel: Ochajon 03 - Du sollst nicht begehren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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könnte?«
    Meros schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Könnte es Jankele gewesen sein?« fragte Michael schnell.
    Meros erstarrte. Dann faßte er sich wieder. »Welcher Jankele? Fanjas Sohn?«
    Michael nickte.
    »Wieso denn Jankele? Woher kennen Sie ihn?« fragte Meros und umklammerte mit der rechten Hand seinen linken Arm.
    »Erinnern Sie sich bitte genau an die Silhouette, die sie gerade beschrieben haben«, sagte Michael, die Frage ignorierend, und Aharon Meros senkte den Kopf und schloß die Augen.
    »Haben Sie ihn schon mal gesehen?« fragte er, als er den Blick hob. Michael antwortete nicht. »Ja, es könnte sein«, sagte Meros. »Aber wenn wir zu realen Personen kommen, zu wirklichen Menschen, ist es mir nicht angenehm, dar über nachzudenken. Nach all den Jahren habe ich immer noch das Gefühl, sie zu verraten, ohne zu wissen, warum, denn glauben Sie mir, ich habe viel gearbeitet für das, was ich von ihnen bekommen habe, und gelitten habe ich auch. Was mich betrifft, könnte es jede von ihnen gewesen sein.«
    »Warum jede?« fragte Michael, das zweite Wort betonend.
    »Keine Ahnung, warum ich es so gesagt habe«, meinte Meros und stand auf. Er kam mit einem Glas Wasser zurück, öffnete das Fenster und atmete tief ein, den linken Arm mit der rechten Hand festhaltend.
    »Wenn ich darüber nachdenke«, sagte Aharon Meros plötzlich, »so konzentriert sich das Böse dort wirklich auf die Frauen. Die Männer sind irgendwie schweigsam, oder sie sprechen, wie Se'ew Hacohen, über Prinzipien, oder sie leben woanders, in ihrer eigenen Welt, wie Felix oder Alex. Oder sie stehen unter dem Pantoffel wie Secharja. Oder sie tun ihre Arbeit, wie es sich gehört, ohne irgend etwas zu verstehen, wie Mojsch. Aber wenn man darüber nachdenkt, ist es eine matriarchale Gesellschaft. Die ganze Sache mit der Gemeinschaftserziehung und den Kinderhäusern wurde deshalb erfunden, um Gleichberechtigung herzustellen, damit die Frauen arbeiten können, damit sie mehr Möglichkeiten haben. In diesem Kibbuz ganz besonders, schauen Sie, Osnat war Sekretärin und seit Jahren Vorsitzende des Erziehungskomitees, das Ganze war wie ein Bienen stock ...« Er atmete zunehmend schwerer. »Und wenn Sie an Jankeles Mutter denken, Fanja, und ihre Schwester Guta, dann ...«
    »Was ist dann?« fragte Michael.
    »Nun, sie sind die schrecklichsten Menschen, die ich je im Leben getroffen habe«, sagte Meros, ohne zu lächeln. »Wissen Sie, was es bedeutet, mit ihnen zu arbeiten? Es gibt Leute, die bis heute den Kibbuz nicht besuchen – wegen diesen beiden.«
    »Was ist so erschreckend an ihnen?« fragte Michael.
    »Die beiden haben die Schoah erlebt. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen.« Meros schaute Michael zögernd an, der an Josek und Fela dachte, Niras Eltern. »Das allein ist schon Grund genug für ständigen Druck, ständige Schuldgefühle. Nicht daß sie selbst es erwähnt hätten, aber sie verbreiten einfach diese Stimmung. Außerdem haben sie Arbeitsnormen aufgestellt, neben denen sogar Dworka blaß aussah, und sogar die Pioniere, die Anfang der zwanziger Jahre eingewandert sind. Damals hat man wenigstens gesungen, hier wurde nicht gesungen und nicht gelächelt, sondern nur gearbeitet. Ich erinnere mich ...« Seine Stimme erstarb, und ein plötzlicher Schmerz verzerrte sein Gesicht. Michael führte ihn zu diesem Zeitpunkt auf die unangenehmen Erinnerungen zurück, und auf Osnats Tod. »Ich erinnere mich, daß ich einmal zu spät zur Arbeit gekommen bin, man hatte mich nicht geweckt. Ich arbeitete im Kuhstall, bei Guta. Bis heute ist sie die Herrscherin im Kuhstall. Ich schwöre Ihnen, es waren nur fünf Minuten, die ich zu spät kam, nicht mehr, und ich habe es ihr erklärt, nachdem ich den ganzen Weg gerannt war, wirklich gerannt, daß man vergessen hatte, mich zu wecken, weil ich nicht in meinem Zimmer geschlafen hatte, die ganze Geschichte also. Sie schaute mich an und sagte nur: › Ja? ‹ Das war alles. Kein weiteres Wort. Aber ich wußte, daß ich alle Erklärungen an einen Menschen vergeudet hatte, der nichts glaubt, der von Anfang an weiß, daß alles nur Ausreden sind. Dabei ist sie noch die bessere von beiden.«
    Wieder verzog sich sein Gesicht zu einem Ausdruck intensiven Schreckens. (Später fragte ihn Michael, warum er zu diesem Zeitpunkt nicht geklagt hatte, und er sagte, er habe nicht realisiert, was mit ihm geschah, er habe schon vorher solche Schmerzen gehabt, er sei auch schon einmal zur Poliklinik gegangen, doch habe man

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