Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
hat auch verlangt, daß nicht er der Nutznießer sein sollte, sondern meine Tochter ...«
»Sie haben eine Tochter?«
»Ja, ich war verheiratet ... Ich war zehn Jahre lang verheiratet, bevor ... bevor ich wußte, bevor ich verstand ...«
»Hatten Sie Beziehungen zu anderen Männern außer zu Gabi?«
Isi nickte langsam, als beginne er zu begreifen. »Ich verstehe langsam, worauf Sie hinauswollen. Aber unsere Geschichte ist in diesem Sinn ungewöhnlich.«
»Es gibt keine gewöhnlichen Geschichten«, sagte Michael und verabscheute sich im gleichen Augenblick für seinen barschen Ton. »Jede Lebensgeschichte ist, genauer betrachtet, außergewöhnlich«, versuchte er seinen Worten die Schärfe zu nehmen.
»Nein«, sagte Isi. »Sie verstehen mich nicht. Sie sind wohl auch ... Ich kenne Ihre Vorlieben nicht. Ich kann mir vorstellen, daß Sie ... daß Sie Frauen bevorzugen. Auch wegen Nita und ...« Michael unterdrückte einen spontanen Drang, die Sache mit Nita klarzustellen. »Ich bin ziemlich sicher, daß Sie konkrete Vorstellungen über homosexuelle Liebe haben. Sie denken gewiß, ich bin in öffentlichen Parks herumgestreunt und hatte alle möglichen ... Aber so war es nicht, erst nachdem ich Gabi kennenlernte, erst dann begriff ich ...«
»Tatsächlich?« fragte Michael erstaunt. »Hatten Sie bis zu diesem Zeitpunkt Verhältnisse mit Frauen?«
Isi rutschte auf seinem Sitz hin und her. »Es ist nicht einfach zu erklären. Ich weiß nicht einmal, ob ich grundsätzlich Männer liebe. Manchmal habe ich das Gefühl, daß ich einfach Gabi liebe. Aber anscheinend ist es nicht so. Ich hatte immer Schwierigkeiten mit Frauen, und meine Beziehungen waren problematisch, aber nicht aus dem Grund, den Sie jetzt annehmen ... Ich hatte vor Gabi niemals etwas mit Männern. Sie werden es vielleicht nicht glauben. Wer ist schon frei von Vorurteilen!« sagte er trotzig.
»Wir reden offen miteinander«, sagte Michael, »und ich versichere Ihnen allen Ernstes, daß ich nicht einmal weiß, welche Vorurteile ich habe. Ich hatte kaum Berührung mit ... mit Homosexuellen. Das heißt außerhalb der Ar beit.«
»Aber bei Ihrer Arbeit kommen Sie gewiß mit den schmutzigen Aspekten in Berührung.«
»Alles wird bei meiner Arbeit in den Dreck gezogen«, sagte Michael. »Wenn es bis zum Mord geht, bleibt nicht viel Ästhetik und auch nicht viel Würde. Aber ich habe noch nie ein Männerpaar kennengelernt, das offiziell zusammenlebte. Ich kenne keine männliche Partnerschaft, wie Sie sie gelebt haben. Wirklich nicht. Das heißt, nicht persönlich. Um die Wahrheit zu sagen, sehe ich keinen prinzipiellen Un terschied zwischen Ihrer Reaktion und der Reaktion einer Frau ...«, er korrigierte sich sofort verlegen, »oder eines Mannes. Ich meine ... eines Partners«, sagte er schließlich mit Unbehagen. Er war selbst über diese Entdeckung überrascht und darüber, daß er offen darüber sprach.
»Sehen Sie, diese Suche nach Worten stellt schon Ihre Vorurteile bloß.«
»Es geht auch um Gewohnheit«, warf Michael ein, »ich bin es nicht gewohnt, offen mit ... über dieses Thema mit jemandem zu sprechen, der betroffen ist ... Ich habe keine Erfahrung darin, mit einem homosexuellen Mann darüber zu sprechen.«
»Ich möchte, daß Sie verstehen«, sagte Isi mit dem gleichen Eifer, mit dem er vorher gesprochen hatte, »daß wir eine ganz normale Partnerschaft hatten. Unsere Beziehung war harmonisch, wir liebten uns und sorgten füreinander und ...« Wieder zog er die Nase hoch, trocknete seine Augen mit einem Finger, den er zwischen das dicke Glas der Brille und das Auge steckte, und atmete tief ein, bevor er sagte: »Ich verstehe mich gut, wirklich gut, mit meiner Ex-Frau. Meine Tochter, sie ist sechzehn, kommt hierher, und es gibt keine Zweideutigkeiten. So wollten wir es. Die Wohnung ist auf Gabi eingetragen, denn sie hat ihm schon gehört, bevor wir uns kennenlernten. Ich bin zu ihm gezogen, aber ich weiß nicht einmal, ob er ein Testament ge macht hat. Ich habe ihn geliebt. Ich hätte ... auf keinen Fall hätte ich ...« Auf einmal bäumte er sich auf. »Was soll das überhaupt? Ich habe keinen Nutzen durch Gabis Tod. Im Gegenteil! Für mich bedeutet er ein Desaster! Gabis Tod ist für mich ...«
Dann sah er Michael an, seine Augen wurden wieder feucht und seine Züge weich. »Sie haben gar keine Wahl. Sie müssen Ihre Arbeit machen, ich verstehe es. Ich versuche, es zu verstehen. Aber Sie dürfen ... Ich möchte, daß Sie sich nicht in
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