Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
schmaler Mund hatte sich zusammengezogen, bevor er einen seltsamen Laut, beinahe ein Lachen, ausgestoßen hatte, das zu einem Stöhnen gewor den war, als er das Wort »ermordet« realisierte. Er hatte die Hornbrille abgesetzt, als er Michaels sachlichem Be richt zuhörte, den dieser erst dann erteilte, nachdem Isi all seine Fragen beantwortet hatte. Zuerst hatte Isi erklärt, daß er selbst das Haus nicht verlassen habe, weil er bis zum nächsten Tag einen Forschungsantrag formulieren mußte, an dem er voraussichtlich noch die ganze Nacht arbei ten würde. Später hatte er bemerkt, daß er eh das Haus nicht verlassen konnte, weil er auf den Klempner warten mußte, und erst zum Schluß hatte er sich über die Frage gewundert.
Michael hatte keinerlei Ängste hinter der Verwunderung wahrgenommen. Isi schien nichts von dem Mord zu wis sen. Seine hohe Stirn hatte sich vor Verblüffung in Falten ge legt, die er aus Höflichkeit zu verbergen versucht hatte. Und dennoch hatte er freimütig erklärt, daß in der Tat niemand bezeugen konnte, daß er das Haus nicht verlassen hatte, bis vielleicht auf die Sekretärin im Institut, mit der er zweimal im Laufe des Tages gesprochen hatte. »Einmal hat sie mich angerufen, das zweite Mal habe ich angerufen«, hatte er gesagt und Michael mit wachsender Verwunderung über dessen detaillierte Fragen gemustert. Erst nach und nach hatte sich Unbehagen in seine Stimme geschlichen. Er hatte den Goldring gedreht, als er aufgefordert worden war zu sagen, wann genau die Sekretärin angerufen hatte. Solch einen Schlangenring, war Michael eingefallen, hatte Gabriel van Gelden am linken Ringfinger getragen.
Isi hatte den Ring schließlich abgestreift und auf den Glas tisch gelegt. »Müssen Sie das so genau wissen?« Er hatte sich über die Frage gewundert, Michael angestarrt, der genickt hatte, und eingestanden, daß er sich nicht erinnerte. »Obwohl«, war ihm plötzlich eingefallen, »man es anhand des Radioprogramms rekonstruieren könnte.« Er hatte den Ring wieder übergestreift. »Es war, als sie das Bläser-Quintett von Mozart spielten«, hatte er erfreut gesagt und rasch die Ha'aretz geholt, die ordentlich gefaltet links vom Sofa gelegen hatte. »Hier«, hatte er erleichtert verkündet, als würde er wieder Herr über ein Chaos, »wenn sie vorher Bruckner gespielt haben, sagen wir fünfundvierzig Minuten lang, und Mozart um zwölf Uhr zu Ende war, muß es das letzte Stück des Morgenkonzerts gewesen sein. Sie hat im zweiten Satz angerufen – mir käme es nicht in den Sinn, mit ten in einem Mozartstück jemanden anzurufen. Das war dann etwa um 11 Uhr 40. Warum wollen Sie das wissen?« hatte er sich zu fragen gewagt, und schon hatte seine Stimme ein leichtes Zittern angenommen, das auf Angst hinwies. Eine senkrechte Furche war zwischen den Augenbrauen über dem braunen Rand der Brille mit den dicken Gläsern erschienen, die er wieder aufgesetzt hatte. Nein, er war fast nie bei den Generalproben dabei, vor allem nicht dann, wenn Theo dirigierte. Er hatte kleinlaut gelächelt und bemerkt: »Ich habe meine Schwierigkeiten mit Theo, vor allem, wenn er dirigiert. Gabi mag es auch nicht, wenn ich zu den Proben komme. Außerdem«, hatte er eingeworfen, »schon gar nicht heute, wegen des Forschungsantrags und des Klempners.«
»Sind Sie Mathematiker?« hatte Michael sich vergewissert.
»Wie kommen Sie darauf?« hatte Isi verwundert gefragt. »Ich bin kein Mathematiker, ich bin Epidemiologe. Wie kom men Sie darauf, daß ich Mathematiker bin?« Er hatte sich beeilt hinzuzufügen, daß er zwar Kontakte zum WeizmannInstitut unterhielt, die einen falschen Eindruck erwecken konnten, auch zur Uniklinik, aber er hatte gar nichts mit Mathematik zu tun.
»Wegen einer Bemerkung von Theo«, hatte Michael erklärt.
»Ach Theo«, hatte er abgewunken, »er kennt mich kaum. Man kann von ihm nichts erwarten. Er interessiert sich nicht für andere Menschen. Selbst wenn ihm einer gesagt hat, was ich mache, merkt er sich das nicht. Gabi sieht es nicht gern, daß wir zusammentreffen, weil Theo in meiner Anwesenheit unter dem, was Gabi einmal ›Freundlichkeitsanfälle‹ nannte, leidet. Das bringt Gabi auf die Palme. Diese gezwungene Liebenswürdigkeit mir gegenüber. Sie kennen sie ja. Ich weiß nicht, ob Theo Sie freundlich behandelt. Ich weiß, daß Gabi sehr schätzt, was Sie für Nita tun. Aber was Theo darüber denkt, weiß ich nicht.« Er hatte auf eine Antwort gewartet.
Michael hatte bemerkt, daß er
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