Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
... Denn Theo war eifersüchtig, weil Felix Gabi näherstand. Er hatte ihm immer nähergestanden. Theo war der Lieblingssohn seiner Mutter. Aber das genügte ihm nicht. Theo will alles. Er wollte auch den Vater für sich gewinnen. Aber man kann es nicht in knappen Worten erklären, auch Theos Wesen nicht. Er ist ein komplexer Mensch. Nicht zuletzt ist Theo auch ein bedeutender Musiker. Man kann ihn nicht ignorieren, vor allem nicht, wenn er Bruckner oder Mahler oder auch Wagner dirigiert, falls man sie mag. Er hat mitunter eine dämonische Kraft. Keiner kann sich Theos Charisma entziehen. Man kann seine Arbeit verabscheuen, aber man kann sein Können nicht leugnen. Um es kurz zu machen, Theo ist kein Mörder. Man muß diese Möglichkeit wahrhaftig nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, aber ihr Verhältnis war kompliziert.«
»Hat Gabi Theo geliebt?«
»Ob er ihn geliebt hat?« Isi hielt sich an dem Begriff auf. »Liebe ist für mich ein Wort mit angenehmen Assoziationen. Etwas Angenehmes gab es in ihrem Verhältnis nicht. Aber er war ... Ja, vielleicht paßt der Begriff Liebe auch hier. Ja, ich glaube, er hat ihn geliebt, vielleicht. Sie waren sehr unterschiedlich, und dennoch standen sie sich nahe. Ihre Kindheit in diesem Haus ... Ja, man könnte sagen, daß er ihn geliebt hat. Und ihn gleichwohl ablehnte. Man kann zu mindest sagen, daß er ihn mochte. Und Theo, Theo hat Gabi letztendlich auf seine eigene Art ebenfalls geliebt. Mit viel Zorn. Und er war auch neidisch, hatte Angst, schätzte ihn, fürchtete ihn, wollte ihm gefallen ... und sonst noch alles mögliche, aber Mord? – Nein.«
»Warum nicht?«
Isi sah ihn erstaunt an. »Warum sollte er ihn ermorden?« argumentierte er. »Schließlich muß die Frage lauten, warum sollte er es tun, und nicht, warum sollte er es nicht tun? Ich kann mir kein Motiv vorstellen, weder ein finanzielles noch ein anderes. Das Verhältnis der beiden war wie immer. In der letzten Zeit ist nichts Besonderes vorgefallen. Wieso sollte er ihn also gerade jetzt umbringen? Theo hatte seit Jahren Probleme mit Gabi, seit Jahren!« Er schnappte nach Luft und hechelte. »Schon seit der Zeit, als beide bei Dora Sackheim Unterricht nahmen. Vielleicht auch schon vorher. Aber Sie sollten mit Dora Sackheim sprechen, wenn Sie die beiden verstehen wollen. Ich habe Asthma«, warnte er, »ich hoffe, ich bekomme keinen Anfall.«
Michael öffnete das Fenster, das Aufnahmegerät surrte.
»Ich weiß wirklich nicht, wer ihn ermordet haben könnte!« rief Isi. »Ich habe nicht die geringste Ahnung!« sagte er verzweifelt. »Vielleicht war es jemand, den ich nicht kenne. Außer Ewen Tow, der seine Position anstrebte, weiß ich von keinem Feind. Nicht einmal die Geigerin, die ich vorhin erwähnt habe, kommt in Frage.« Er verzog die Lippen. »Kann es denn nicht irgendein Geistesgestörter gewesen sein? Ein zufälliger Mörder? Der ihn grundlos umgebracht hat?« fragte er naiv, und sein rundliches Kinn bebte. »Das kann nicht sein, nicht wahr?« seufzte er.
»Und Gabis Ex-Frau?«
»Sie? Ausgeschlossen! Was hätte sie davon? Wer wird sie jetzt finanziell unterstützen? Sie ist, davon abgesehen, in München.«
»Und Ihre Frau?«
»Meine Frau?!« staunte Isi. »Wie kommen Sie auf meine Frau?«
»Nun«, sagte Michael und drehte an der Zigarette, ohne sie anzuzünden, »immerhin haben Sie sie seinetwegen verlassen ...«
»Vor fünf Jahren!« rief Isi und streckte fünf Finger raus. »So ganz plötzlich, nachdem wir nun fünf Jahre zusammenleben?!«
»Fünf Jahre? Nicht zwei?«
»Zwei Jahre lang lebten wir richtig hier in dieser Wohnung zusammen. Vorher hatten wir drei Jahre ... Wer hat Ihnen gesagt, daß es zwei Jahre sind?«
Michael schwieg.
»Sie kennen sie nicht«, sagte Isi sanfter. »Wenn Sie sie kennen würden, wüßten Sie, warum sie nicht in Frage kommt ... Meine Frau ist wunderbar. Sie ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit, es lag an mir ... Es hatte sich so ergeben. Ich hatte keine Wahl ... Es hat nichts mit ihr zu tun. Ich bin einfach ... Ich wünschte ...« Wieder bedeckte er sein Gesicht mit den Händen. Seine Schultern bebten.
Anschließend zeigte er Michael schweigend die Wohnung, Gabis Arbeitszimmer – Stapel von Noten, eine Geige, die auf dem Flügel lag, ein großer Schreibtisch, rote und rosa Geranien auf der Fensterbank und eine riesige Lithographie in schwarz, braun und rot, die drei Frauen in der Kleidung des 16. oder 17. Jahrhunderts zeigte. Eine von ihnen saß im
Weitere Kostenlose Bücher