Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
in die Kinderabteilung eines Krankenhauses bringen müßte. Darum mußte man jeden Gedanken daran verwerfen. Der Kinderarzt mußte warten. Bis auf den Nabel und die wunden Stellen war die Haut des Kindes glatt und rein. Es schrie wieder, und sein Gesicht lief blau und rot an.
Als Michael mit dem Baby in die Küche ging, Zuckerwasser zubereitete und sein Taschentuch hineintauchte, wußte er noch nicht, was er der Nachbarin aus der Wohnung über ihm sagen würde. Sie war die beste Lösung, die ihm einfiel, was Fläschchen, Brei, Windeln und sogar ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln betraf. Michael brachte es nicht über sich, der Kleinen die abgelegten Kleidungsstücke überzuziehen. Auch in die Pappschachtel wollte er sie nicht mehr legen. Sie blieb in dem großen Badetuch, in das er sie gewickelt hatte, mitten auf dem Bett liegen und hatte ein sauberes, zusammengerolltes, in Zuckerwasser getränktes Taschentuch in dem rötlichen Mund, an dem ihre Lippen eifrig lutschten. Michael baute um sie herum eine Mauer aus Kissen und hastete die Stufen zum nächsten Stockwerk hoch.
Als er der Nachbarin schon gegenüberstand, fand er immer noch keine Worte. Sie hatte die Tür einen Spaltbreit geöffnet. Eine Hand hielt den Griff, die zweite fuhr durch die Locken, die sie zusammenzufassen versuchte, und berührte dann den Kragen des langen lila Oberhemdes. Michael erkannte in ihrem Gesicht die Befürchtung, beinahe die Angst, er könnte wegen der Feuchtigkeit an der Decke gekommen sein.
»Darf ich reinkommen?« bat er. Hilflos kapitulierend, doch mit offenkundigem Widerwillen öffnete sie die Tür und rückte ein Stück zur Seite, bis Michael im Raum stand, ganz in der Nähe des Laufstalls, gegen den der Cellokasten gelehnt war.
In dem Laufstall lag das rundliche Baby auf dem Rücken, die Arme nach den Seiten ausgestreckt. Es hatte die Beine durchgedrückt und atmete rasselnd. Das Cello selbst lag auf einem kleinen Sofa neben einem Haufen Wäsche unter einem großen Ölgemälde, einer aufgezogenen Leinwand ohne Rahmen, das nach einem eiligen Blick eine schwarz, weiß, graue Landschaft im Nebel darzustellen schien. Die Nachbarin räusperte sich und sagte immer noch von ihrem Standort an der Tür, daß sie wegen der Feiertage keinen Klempner habe finden können. Michael fing an zu erklären, daß er nicht wegen der Feuchtigkeit hier sei, doch sie war nicht zu bremsen, entschuldigte sich weiter, daß durch das Baby und die Notwendigkeit, wieder zu arbeiten, und die ganzen Feiertage...
Michael winkte ungeduldig mit der Hand.
»Darum geht es gar nicht«, beschwichtigte er sie. »Das ist gar nicht der Grund, weshalb ich hier bin. Lassen wir das jetzt.«
Er stierte auf das Gesicht des schlafenden Babys im Laufstall, dessen Lippen gespreizt waren und aus dessen Mund der Schnuller geglitten war.
»Ich bin hier, um Sie zu bitten ... ich habe unten bei mir ein Baby und keine Sachen ...«
In den Sekunden, in denen sie ihn erstaunt musterte und sich die tiefen, hellen Augen verengten, so daß sich an deren Rändern kleine Krähenfüße bildeten, kam ihm die rettende Idee: »Meine Schwester hat ihre Enkeltochter bei mir abgegeben und all ihre Sachen zu Hause vergessen.«
»Welche Sachen?« fragte die Frau. Das sanfte Licht, das noch durch das große Fenster fiel, verfing sich in den wei ßen Strähnen zwischen ihren Locken, bevor es einen kleinen Fleck mit aufgelösten Umrissen über ihrem linken Busen anstrahlte.
»Alles. Fläschchen, Brei, Windeln und so weiter«, mur melte er verlegen, weil er spürte, daß seine Geschichte kaum glaubwürdig war. Wieder spürte er die Angst, da erneut die Erkenntnis in ihm keimte, etwas Unrechtes zu tun. Doch er verdrängte sie hastig.
»Alles ist zu. Wegen des Feiertags machen die Geschäfte zwei Tage lang nicht mehr auf. Ich kann meine Schwester nicht telefonisch erreichen. Sie ist religiös, müssen Sie wissen ... Sie wohnt auch nicht in der Nähe.«
In den Augen der Frau bildete sich eine Mischung aus Be fremden und Mißtrauen, als sie fragte: »Was? Das Baby bleibt über die ganzen Feiertage? Wohnen Sie allein?«
Michael nickte unwillig.
»Verzeihen Sie, daß ich frage«, sagte sie erschrocken, »es ist nur, weil ... Wissen Sie denn, wie man mit einem Baby umgeht?«
»Ich denke schon ... Es ist schon eine Weile her, seit ... Mein Sohn ist schon erwachsen, aber ein Baby ist ein Baby. Ich glaube nicht, daß man die Handgriffe vergißt ...« Seine Stimme verstummte für einen Moment,
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