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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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bestätigen, ging der runde Mund auf, rot und makellos, der Kopf fuhr hektisch suchend von Seite zu Seite, und ein neuer Schrei durchfuhr das Zimmer und brachte jeden anderen Ton zum Schweigen. Nur für einen Moment geriet er in Panik. Für einen kurzen Augenblick, bis ihm einfiel, wie er Stecknadeln über der Gasflamme erhitzt hatte und sie in die Nippel von Saugern gebohrt hatte, deren Löcher zu eng gewesen waren. Sogar der Geruch nach verbranntem Kunststoff war ihm wieder gegenwärtig. Und wie er manchmal zu sehr geschmolzen und die Löcher zu groß geworden waren, so daß die Milch in einem großen Schwall ausgetreten war und die Mundhöhle überschwemmt hatte.
    »Das Kind erstickt!« hatte Nira in dieser Situation geschrien, und er hatte Juwal schleunigst auf den Bauch gedreht. Juwal war ein gefräßiges Kind gewesen. Die Kleine hier, die noch keinen Namen hatte, oder vielleicht doch, nur kannte er ihn nicht, schien nicht mehr an die Möglichkeit, an Nahrung zu gelangen, zu glauben. Es war, als ob sie wahrhaftig kapitulierte.
    Wenn Juwal sehr hungrig gewesen war, konnte er nicht trinken.
    »Zu hungrig zum Trinken«, hatte Michael verkündet und seine spezielle »Methode« eingesetzt. Er ließ die Flüssigkeit auf seinen Finger tröpfeln und von dort in den Mund des Babys gleiten. Geduld und Ausdauer führten stets dazu, daß Juwal am Ende trank. Dann erfüllte sich der Raum mit dem Geräusch gleichmäßigen Nuckelns, das er jetzt so liebend gern aus dem Mund des Babys hören würde und das gewiß erst dann einsetzen würde, wenn es einen Großteil der Flasche geleert hätte.
    Er schüttelte das Fläschchen fest, so daß es seinen Finger befeuchtete, den er behutsam in den aufgesperrten Mund schob – die Mundhöhle war warm, die Kiefer preßten sich auf den Finger, und die Lippen umschlossen ihn. Dann tauschte er flink den Finger gegen den Nippel aus, den er zuvor mit seinen Zähnen bearbeitet hatte, um das Saugloch zu vergrößern.
    Erst als das Kind zu saugen begann, gierig und regelmäßig, nahm Michael sich die Freiheit, sich vorsichtig gegen die splittrige Holzlehne des Küchenstuhls zu lehnen. Erst da, als seine Beinmuskeln vor Erschöpfung zu zittern begannen, spürte er, wie sehr sein Körper bis zu diesem Augenblick angespannt gewesen war.
    Eigentlich erst jetzt hatte er die Muße, das Gesicht der Kleinen in Ruhe anzusehen. Er berührte mit seiner Linken, der Hand, die sie hielt, die wohlgeformte zierliche Nase, die hellen, zarten, nur angedeuteten Brauen und den dünnen weichen Flaum rings um die Ohren. Die Augen, die kurz zugefallen waren, öffneten sich in milchigem Blau. Der win zige Mund war um den Nippel gerundet, aus dem sie ausdauernd saugte. Sie seufzte zwischen zwei Saugbewegungen, und ein Schweißfilm sammelte sich auf ihrer Oberlippe. Ohne das Fläschchen zu bewegen, stand Michael mit dem Baby auf dem Arm auf und ging zum Sessel vor der Bal kontür.
    Die Sirene einer Ambulanz jaulte unermüdlich in der Ferne. In der Glastür, die den Hügeln zugewandt war, ging langsam die Sonne unter. Die Welt schwieg. Nur er und das Baby kauerten in dem breiten Sessel mit dem schäbigen Bezug, der das einzige Möbelstück war, das ihm aus den Tagen seiner Ehe geblieben war. In diesem Sessel hatte er in den Winternächten gesessen und Juwal gefüttert. Er hatte seinen Atemzügen gelauscht, dem Nuckeln, den Seufzern der Befriedigung und wieder und wieder der »Winterreise« von Schubert. Die Atmosphäre jener abendlichen Kälte – Juwal war im Herbst zur Welt gekommen – war wieder gegenwärtig. Das Schweigen, das nur von Saugen unterbrochen worden war, die Einsamkeit, die keine wirkliche Einsamkeit gewesen war, sondern eine Art stummes, vollkommenes Miteinander. Das Spiel oben hörte auf, und er hatte immer noch nicht herausgefunden, was für ein Musikstück sie gespielt hatte. Wie oft mußte man ein Stück hören, um es benennen zu können.
    »Wir sind autark«, flüsterte er, und sein Gesicht grub sich in die flachsgelben weichen Haare. Es wurde dunkel, die Flasche wurde leer, und die Augen des Babys fielen zu. Sein erleichtertes Stöhnen wurde zu einem gleichmäßigen Atmen. Die Lippen fielen auseinander und ließen den Nippel frei. Michael zog das Fläschchen behutsam aus dem Mund, prüfte, was die Kleine übriggelassen hatte, und stellte es zu seinen Füßen ab. Dann knipste er die Leselampe an. Ein gel bes, sanftes Licht leuchtete die Zimmerecke aus. Der restliche Raum lag im Schatten. Michael

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