Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
still.
    »Ich habe einmal ein Interview mit einem professionellen Hypnotiker gehört«, flüsterte Nita, »er sagte, daß man auch unter völliger Hypnose Menschen nicht dazu bringen kann, Dinge zu tun, die sie auf keinen Fall zu tun bereit sind.«
    »Das ist richtig«, sagte Michael. »Daran besteht kein Zweifel. In Diskussionen über Hypnose und ihre Gefahren wird dies immer wieder bestätigt. Ein Mensch würde unter Hypnose nicht töten, es sei denn, er wollte es schon vorher tun. Aber du redest nicht von Hypnose, sondern von etwas anderem. Für diese Dinge, über die du sprichst, gibt es Präzedenzfälle. Ja, es ist schon vorgekommen, daß jemand in einem Anfall von Wahnsinn getötet hat und sich später an nichts mehr erinnerte.«
    Aus ihrem ohnehin blassen Gesicht wich das Blut, ihre Hände zitterten. »Kann das sein?« flüsterte sie mit erstick ter Stimme. »So etwas ist denkbar; wenn das so ist, bin ich eine Gefahr für die Öffentlichkeit, und man muß, man kann mich nicht mit den Kindern allein lassen, nein, unmöglich ... Ido ...«
    Sie stand auf, hielt ihren Hals mit beiden Händen fest und wankte. Auch er stand auf und hielt sie fest. »Verhaftet mich, bringt mich von hier weg, vielleicht bin ich ... Sicher bin ich ...« Sie rollte mit den Augen und zuckte.
    Er gab ihr eine Ohrfeige, und dann sprach er schnell. Es schien ihm in diesem Moment, daß alles von ihrem weite ren Verhalten abhing. Plötzlich fiel ihm wieder ein, was er über den Verlust des Erinnerungsvermögens in solchen Momenten gehört hatte. »Hör zu!« sagte er schroff. »Hör mir ganz genau zu, hörst du?«
    Sie rührte sich nicht. »Hör mir zu. So ist es nicht. Ich ken ne den Fall eines Jugendlichen, der seine Eltern, seine Brüder und seine Schwestern in einem Anfall von Wahnsinn getö tet hatte. Er erinnerte sich an nichts. Aber an gar nichts. Nicht an den Moment, in dem er nach der Uzi griff, und auch nicht an den Moment, in dem er sah, daß sie tot wa ren. Ganze vierundzwanzig Stunden fehlten ihm in seiner Erinnerung. Nicht nur der bewußte Augenblick, auch alles, was davor kam, und alles, was folgte. Bei dir ist es nicht so. Du erinnerst dich an alles, was du im Laufe des Tages gemacht hast. Komm, erzähl es mir, du wirst sehen, daß du dich an den Rest erinnerst. An alles, was um den Zeitpunkt herum geschah, an dem du Gabi gefunden hast. Sprich ganz langsam. Mach dir um die Kinder keine Sorgen. Ich werde dich nicht allein lassen.« Er legte seine Hand auf ihren Arm. »Bis wir es völlig geklärt haben, wirst du nicht allein bleiben«, versprach er. »Aber komm, erzähl mir jetzt alles, woran du dich erinnerst, bis zu dem Moment, wo du Gabis Leiche gesehen hast und auch, was nachher passierte. Alles, jede Einzelheit.«
    »Bist du sicher, daß ich es nicht war?« flüsterte sie ein wenig erleichtert. Ihre Atemzüge wurden ruhiger. Ihr Anfall von Panik war vorüber. Er selbst wußte nicht, woher er die Sicherheit nahm. Hätte Balilati ihn jetzt gehört, hätte er si cherlich die Augenbrauen gewölbt und eine sarkastische Be merkung gemacht. Und Schorer hätte es vielleicht für eine sehr gerissene Taktik gehalten. Aber sie kannten Nita nicht. Wie gut kennst du sie eigentlich? spottete die innere Stimme, die wieder den Tonfall Schorers annahm. Wie gut? Und wer kennt überhaupt einen anderen in diesem Sinn, daß er all dessen Taten voraussehen kann? Wieder stützt du dich auf ein Vertrauen, das auf Intuition gründet. Im gleichen Moment, in dem es ins Wanken gerät, wenn es nur das kleinste Anzeichen dafür gibt, wird alles wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Er hatte einmal einen Krimi aus den vierziger Jahren gesehen. Humphrey Bogart war Philip Marlowe, der sich in eine Mörderin verliebt. Aber er selbst war nicht verliebt, und Nita war keine Mörderin. Hier war kein erfolgloses Detektivbüro in New York, hier standen keine Whiskyflaschen herum. Sie befanden sich in einer normalen Wohnung. Im anderen Zimmer erwartete sie die kalte, scharfe, unsentimentale Logik Balilatis – und ein weinendes Baby. Philip Marlowe hatte kein Baby. Die Frau, in die er sich verliebt, auch nicht. Und überhaupt, er selbst hatte sich nicht in Nita verliebt.
    Sie sprach leise, gab sich große Mühe, sich zu konzentrieren. Jemand klopfte an die Tür. »Jetzt nicht«, rief Michael, und sie zitterte. Ganz langsam rekonstruierte sie den Ablauf der Probe. Sie kam bis zur Beschreibung der Arbeit am letzten Satz des Doppelkonzerts. »An mehr kann ich mich nicht

Weitere Kostenlose Bücher