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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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legte das Baby über seine Schulter und begann hin und her zu gehen, bis er den Laut ausgestoßener Luft hören würde. Er hatte sich auf eine lange Reise eingestellt und war überrascht, das Aufstoßen schon zu hören, kaum daß er das Kind über die Schulter gelegt hatte. Er grinste erfreut – wie wenig es manchmal bedurfte, um froh zu sein. Mitunter genügte es, sich auf eine Strapaze einzustellen, und das Gegenteil traf ein. Wer nicht pedantisch war, konnte solche Momente als glücklich bezeichnen. Er spürte das Gewicht des Körpers entspannt und gelöst auf seiner Schulter. Er legte das Baby vorsichtig auf seinen Arm, kehrte zurück zum Sessel, bettete das Baby auf seinen Schoß, schaute in die Dunkelheit und auf die sich spiegelnde Lampe.
    Und was nun, fragte er sich. Was willst du eigentlich, hakte er nach. Doch anstatt seinen Verstand einzusetzen, ließ er sich treiben. Schon in diesem Moment begannen sich in ihm die bösen Geister zu regen in Form der Frage, wie lange er das Baby wohl behalten konnte. Er handelte gegen die Vorschriften. Schließlich wußte er, welche Schritte es zu unternehmen galt. Es war klar, daß er die zuständige Abteilung des Polizeipräsidiums am Migrash Harussim* verständigen mußte, die an seine Abteilung grenzte. Zu seinen Gunsten konnte man einwerfen, daß es ein Feiertag war und irgendeiner sie bis zum Ende des Feiertags mit nach Hause genommen oder ins Krankenhaus gebracht hätte. Aber die Wahrheit war, der springende Punkt, daß er sich seinen Wunsch, sein unbestrittenes Bedürfnis, sie für sich zu behalten, eingestehen mußte. Wie flüchtig und kurz die Momente sind, in denen der Körper und der Geist völlige Ruhe genießen. Schon ein Läuten genügt, um sie zu stören. Auch ein Klopfen. Auch wenn es zaghaft ist. In diesem Augenblick ergriff ihn Panik. Und was, wenn draußen schon jemand stand, um sie abzuholen?
    Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht daran gedacht, daß man sie noch heute abholen könnte. Bis zu dem Moment, in dem er das Klopfen hörte, das schon weniger schüchtern war und dem ein weiteres, hartnäckiges folgte. Er wußte nur eins, daß er die Anwesenheit des Babys geheimhalten mußte. Viel leicht sollte er das Klopfen ignorieren. Doch wegen der Panik, die es in ihm auslöste, stand er auf und lugte durch den Spion. Völlige Dunkelheit. Ohne nachzudenken hörte er sich erschrocken fragen: »Wer ist da?«
    »Ich bin Nita, von oben«, sagte die tiefe Stimme hinter der Tür. Jetzt kannte er auch ihren Namen.
    »Einen Moment bitte«, brummte er und sah sich um. Er schloß rasch die Schlafzimmertür, damit sie die Pappschachtel nicht sah, in der das Baby gebracht worden war, als sei es ein junger Hund. Jetzt hatte sie einen Namen, die große Frau in der Jogginghose und dem lila Männerhemd, auf deren Arm das dunkle runde Baby lag, dessen braune Augen ihn mit großem Ernst fixierten. Im Wohnzimmer standen sich beide gegenüber, ein jeder mit seinem Baby auf dem Arm. Ihre gewölbte Unterlippe zitterte. Sie nestelte an den glatten braunen Haaren ihres Kindes, strich mit peinli cher Sorgfalt über den Kragen seines Schlafanzuges, hob die Augen zu Michael und lächelte verlegen.
    »Ich bin nur hier, um Ihnen noch ein paar Sachen zu bringen, die Sie vielleicht brauchen werden.« Sie schwang eine Tüte. »Babyseife, Reinigungsmilch, eine Schutzcreme für den Po und eine kleine Decke. Ich wollte nur sehen, wie Sie zurechtkommen. Ich hoffe, ich störe nicht, denn ...«
    »Es ist völlig in Ordnung, vielen Dank«, sagte Michael. Beide blieben wortlos stehen.
    »Wie wir wohl aussehen«, grinste sie belustigt, »jeder mit seinem Baby auf dem Arm. Was für ein Bild.« Dann kam sie ganz nah heran und beugte sich vor, um das Mädchen zu betrachten.
    »Sie ist hübsch«, sagte sie ehrfürchtig, als sie die Augen hob. Sie hatten nicht die gleichen Körpermaße, und den noch schauten ihre Augen direkt in seine. »Wie ich sehe, hat sie getrunken. Sie sieht ganz zufrieden aus«, sagte sie staunend. »Sie haben es tatsächlich hingekriegt. Fünf Wochen ist sie alt?«
    Michael nickte.
    »Sie haben sie noch nicht angezogen. Wie heißt sie eigentlich?« Sie huschte mit einem Finger über das nackte Beinchen, das aus dem Handtuch lugte.
    Für einen Moment erstarrte er. »Noa«, hörte er sich laut sagen, während er seinen Kopf über den Flaum beugte, als bitte er diesen für die schnelle, willkürliche Wahl um Vergebung. Er holte tief Luft und wandte der Nachbarin sein Gesicht zu,

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