Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
Sie ... Ich meinte ja nur ...« Sie wurde still und schlang beide Arme um das Baby.
    Michael sah die Kleine an. Er konnte sie doch nicht so einfach Noa nennen, nicht schon jetzt. »Wir beide bieten wirklich einen komischen Anblick mit diesen zwei Babys«, sagte er nachdenklich.
    »Ich will Sie nicht drängen. Wissen Sie, ich weiß, wie schwer es ist, mit einem fünf Wochen alten Baby, und ich dachte ...«, sagte sie schüchtern. Plötzlich hatte er den Eindruck, daß es gar nicht so schlecht wäre, den Abend mit ihr zu verbringen. Sie verhieß einen Kontakt, der weder bedrohlich noch banal war. Mit einemmal wollte er es ihr unbedingt sagen, und um sich zurückzuhalten, bemerkte er: »Ich muß das Kind erst anziehen. Sie können auch hier unten bleiben.«
    »Es wäre mir lieber, wir treffen uns bei mir. Ich würde mich weniger aufdringlich fühlen«, lächelte sie angestrengt und zupfte am Saum des lila Hemds. »Außerdem ist Ihr Baby noch unproblematisch. Ido muß schon in einem Gitterbett schlafen, und es ist schon halb acht«, sagte sie und stellte die Tüte ab. Sie sah sich wieder schnell und verstohlen im Zimmer um. »Kommen Sie hoch, wenn Sie fertig sind?«
    Michael nickte entschlossen. Auf einmal war er sich nicht mehr so sicher. Was war, wenn sie nur schnüffeln wollte. Was, wenn der hysterische Drang sie überkam, auf der Stelle die Behörden zu alarmieren. Wie sollte er ihr auch den unverständlichen, peinlichen, wenn man darüber nachdachte vielleicht sogar beschämenden Wunsch erklären, das Baby für sich zu behalten? Sie könnte seine Wünsche deuten, seinen Beweggrund analysieren wollen, über den man wahrhaftig besser nicht nachdachte. Er war für sich zu dem Schluß gekommen, daß er ausnahmsweise einmal seinen Gefühlen nachgeben würde. Aber daß er das Baby nicht mehr hergeben wollte, war ihm peinlich und beunruhigte ihn.
    Die Kleine schlief weiter, als er ihr einen hellblauen Strampelanzug überstreifte, den er aus der Tüte der Nachbarin gefischt hatte. Einmal zuckte sie zusammen, und einmal, als er ihr Kinn berührte, verzog sie sogar mit geschlossenen Augen die Lippen zu einer Grimasse, die wie ein Lächeln aussah. Es fiel ihm ein, daß Babys in diesem Alter nicht wirklich lächelten und man nur von einer instinktiven Reaktion sprach.
    Bevor sie ihm die Tür öffnete, war es ihr gelungen, im Zimmer ein wenig Ordnung zu schaffen. Der Wäschestapel war verschwunden. Das Cello stand in seinem Kasten in der Ecke neben dem abgebauten Laufstall. Auf einem großen armenischen Teller, der auf einem runden Kupfertischchen stand, waren ein paar Apfelspalten um ein Schüsselchen Honig arrangiert.
    »Kommen Sie rein, legen Sie die Kleine hierhin!« sagte sie. Sie zog einen Kinderwagen hinter sich her. »Man kann die Tragetasche abnehmen«, erklärte sie. »Sie können sie dann später darin mitnehmen.« Da sie neben ihm stand und ihn musterte, wie er die Kleine in den Wagen legte, stellte er sich ungeschickt an. Allein schon den Geruch des Babys ein zuatmen, seine Wange in aller Öffentlichkeit gegen die Wange der Kleinen zu drücken, beschämte ihn. Die Art, wie er sie zudeckte, hatte etwas Unbeholfenes. Alles geschah un ter einem, wie er meinte, prüfenden, mißtrauischen, ungehaltenen Blick. Doch was er sah, als er sich aufrichtete, war ein warmer, offener Ausdruck in Nitas Gesicht. Jetzt schien es ihm, daß ihre Augen grau waren und daß eine Trauer in ihnen lag, die frei von jeder Verbitterung war.
    Er setzte sich auf das kleine Sofa unter dem Bild und schaute auf die gegenüberliegende Wand. Dort hing ein großer Druck, eine Pastellzeichnung eines bärtigen, stattli chen Mannes, der eine dicke Zigarre rauchte und dessen Fin ger auf der Tastatur eines Klaviers ruhten, das gemessen an seiner Gestalt zierlich wirkte. Die Figur kam ihm bekannt vor. »Brahms«, sagte Nita, die seinem Blick gefolgt war. »Er ist 1897 gestorben«, dachte Michael laut. »Erst heute habe ich es gelesen. Ich dachte immer, er hätte ein Jahrhundert vorher gelebt. Er ist nicht alt geworden. Ungefähr sechzig.«
    »Er hat an einem schweren Krebsleiden gelitten. Er selbst hat immer von ›Gelbsucht‹ gesprochen. Wissen Sie was Dvořák kurz nach seinem Tod über ihn sagte?«
    »Was denn?«
    »Er hatte Dvořák ja gefördert, er hatte ihm seinen Verleger vermittelt, und Dvořák war von Brahms sehr beeindruckt. Er hat ihn sehr geliebt und bewundert, auch schon vorher, bevor Brahms ihm geholfen hatte. Als Brahms im Sterben lag,

Weitere Kostenlose Bücher