Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
gefragt, ob Sie Berufsmusikerin sind«, sagte er bedauernd.
Sie inhalierte den Rauch und winkte ab. »Heute kann sich jeder eine Aufnahme machen lassen«, sagte sie heiser.
Zögernd fragte er, ob das ihre einzige Aufnahme war.
»Es gab noch ein paar. Nicht viele«, sagte sie leise mit ge senkten Augen. »Lassen Sie sich davon nicht so sehr beeindrucken. Was vorbei ist, ist vorbei«, fuhr sie fort und sah ihn an. Eine senkrechte Linie grub sich zwischen ihre dunklen Augenbrauen. »Es sagt nichts über die Zukunft aus. Ich bin schon seit über einem Jahr nicht mehr aufgetreten und habe auch nicht mehr gespielt.«
»Wegen des Kindes?«
Sie gab keine Antwort. Er wagte es nicht, sie mit der Frei heit auszufragen, die er gewohnt war. Er sah sie an und fragte sich, worüber man überhaupt sprechen konnte. Sie legte die Zigarette auf den Rand des Aschenbechers und umfaßte mit beiden Händen die Tasse. Ihre langen Finger berührten einander. »Nach Jom Kippur* gebe ich ein Konzert, das erste nach einer Pause von über einem Jahr«, stieß sie plötzlich mühsam hervor. Ihre Augen starrten auf die große Glastür, vor der sie saß. Der Sessel schien zu klein für ihre Ausmaße. Sie schlug die Beine übereinander und stützte die Ellbogen auf die schmalen Lehnen. Es schien ihm, daß sie den Kopf zwischen die Schultern zog und ihre Muskeln anspannte, um Herr über ihr Zittern zu werden. Plötzlich sah sie ihn an, riß die Augen weit auf und flüsterte: »Ich sterbe vor Angst. Vielleicht habe ich es verloren.«
Man hätte nachfragen können: »Was meinen Sie?«, aber da er verstand, wovon sie sprach, fragte er nur: »Was werden Sie spielen?«
»Verschiedene Stücke. Es wird zwei Konzerte geben. Bei dem ersten Konzert spiele ich ein kleines Solo aus der Ouvertüre zu ›Wilhelm Tell‹, als erstes Cello. Mein Bruder Theo wird dirigieren, und mein jüngerer Bruder spielt die erste Geige. Das Konzert wird die Saison eröffnen.« Sie stellte die Tasse ab. »Zwischen beiden Konzerten liegen zwei Wochen. Beim zweiten Konzert werde ich sein Doppelkonzert spielen.« Sie zeigte mit dem Kopf in Richtung auf den Druck von Brahms. »Es sollte mit einem jungen talentierten Geiger besetzt werden, den mein Bruder Theo entdeckt hat. Es ist eine Stärke meines Bruders, junge Talente zu entdecken. Pianisten aus Italien, Geiger aus Südkorea und manchmal auch Musiker aus diesem Land. Aber der junge Mann ist krank geworden. Er kann auf keinen Fall auftreten. Darum spielt Gabi auch in diesem Konzert die Geige. Es wird ein feierliches Konzert werden, auch wegen der Vierten Symphonie von Mahler.«
»Ich habe Sie vorhin gehört. Es war kein Stück von Brahms, was Sie gespielt haben. Es kam mir bekannt vor, was war es denn?« fragte er stockend. Er wollte nicht ungebildet erscheinen.
»Rossini, die Ouvertüre zu › Wilhelm Tell ‹ . Kennen Sie sie nicht?«
»Ich kenne mich nicht sehr in diesen Dingen aus«, rechtfertigte er sich eilig. »Ich bin nur ein Amateur, der die Musik liebt, nichts weiter.«
»Das ist schon viel. Liebe. Man kann eine Menge lernen, wenn man nur will.« Sie widmete sich wieder der Tasse.
»Ich habe Sie gehört, wie Sie gespielt haben. Die Musik kam mir bekannt vor, ich konnte allerdings nicht herausfinden, was es war.«
»Gibt es Stücke, die Sie gleich erkennen würden?«
»Die gibt es, natürlich. Das Doppelkonzert beispielsweise, das Sie, war es nicht gestern, spielten, und sogar die Bachsuite.«
Sie nickte.
»Ich beneide Sie darum, daß Sie Cello spielen können. Es ist ein Instrument, das so ... traurig ... macht«, hörte er sich erstaunt sagen. »Ich liebe es sehr. Ich glaube, wenn man die Musik nicht mit der Muttermilch aufgenommen hat, wenn man nicht von Kindesbeinen an damit konfrontiert wurde und auch kein besonderes Talent hat, kann man sie nicht verstehen.«
»Man muß sie doch gar nicht verstehen«, sagte sie. »Es genügt, sie zu lieben und zu brauchen. Vor allem muß man sie brauchen.«
»Gut, Sie sind wahrscheinlich mit ihr aufgewachsen. Haben Sie etwas mit der Musikhandlung ›Van Gelden‹ zu tun?«
Sie nickte.
»Ich bin vor ein paar Tagen dort vorbeigegangen. Das Geschäft war geschlossen. Wird es aufgelöst?«
»Es ist schon seit einem halben Jahr geschlossen. Keiner wollte es übernehmen. Mein Vater ist zu alt, und meine Brü der sind mit anderen Dingen beschäftigt. Und ich? ... Von uns kann keiner alles stehen- und liegenlassen, um Noten und historische Instrumente aufzuspüren, und
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