Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
weiß, was in zwei Jahren sein wird.«
»Wir werden eine Lösung finden«, erklang plötzlich die Stimme des Vaters. »Wenn das das Problem ist, werden wir es lösen. Die Frage ist nur, ob die Dame bereit ist ...«
»Lassen Sie die Dame«, protestierte Dora Sackheim. »Wozu so förmlich? Ich muß gut, gut darüber nachdenken. Ich werde Bescheid geben.«
Dann folgten Gemurmel, Aufstehen, Seufzer, der Junge packte seine Geige.
»Nimm noch Schokolade«, sagte sie und folgte ihm mit dem Blick. Als sie die Tür hinter ihnen schloß, schüttelte sie den Kopf, neigte ihn zur Seite und sah Juwal an, der von einem Ohr zum anderen grinste. »Was lachst du?« fragte sie beinahe beleidigt. »Was gibt es da zu lachen?«
»Du wirst ihn nehmen«, sagte Juwal. »Und er weiß nicht einmal, was ihm blüht«, fügte er mit einer Unschuldsmiene hinzu. »So schlecht hat er gespielt, daß du ihn mit Schokolade gefüttert hast.«
Sie sah ihn verdutzt an und stieß hervor: »Unsinn, denkt ihr vielleicht, ich lebe ewig?« Sie winkte Michael zu, der sich beeilte, ihr in den anderen Raum zu folgen.
Dann zog sie die Schiebetür zu, die sich kaum bewegen ließ, als ob nur sehr selten von ihr Gebrauch gemacht wurde. »Erlauben Sie«, kam Michael zu Hilfe, und sie rückte zur Seite, beobachtete seine Bewegungen und nickte dankbar. Sie öffnete das kleine Fenster, das zu einer Nebenstraße führte, und machte ihm ein Zeichen, sich auf den einzigen Stuhl zu setzen, der im Zimmer stand. Sie selbst setzte sich auf das Bett und legte ihre verbundenen Beine auf einen kleinen Schemel. Ihr Gesicht wurde ernst, ihre Augen waren von einem durchdringenden Blau. »Ich trauere um Gabi«, sagte sie ohne Übergang. »So große Katastrophe, so groß.« Er hatte vor, sie reden zu lassen, aber sie fügte nichts hinzu, sondern sah ihn mit konzentrierter Erwar tung an, als ob sie ihre faltigen Lider mit den kurzen Wimpern nur mit Anstrengung hob. Er hatte vermutet, sie würde ihm mißtrauischer begegnen, vielleicht erschrocken, und wunderte sich nun, daß sie keine von den typischen Bemerkungen über Polizisten machte. Jetzt sah er mit Befriedigung, daß sein Angebot, Juwal nach Beth Daniel zu fahren, der Schlüssel war, der ihm einen Weg zu ihr gebahnt hatte.
»Ich bin gekommen, um Sie nach ihm zu fragen«, sagte Michael zaghaft, »daß Sie mir etwas über ihn erzählen und auch über Theo.«
»Theo?« wunderte sie sich. »Nun gut, Theo. Theo ist et was vollkommen anderes. Etwas anderes. Hundertprozen tig anders«, versicherte sie. »Ein großes Talent«, fügte sie hinzu.
»Wer?« fragte Michael.
Für einen Moment nahm ihr Gesicht einen verwirrten Ausdruck an. »Gabi«, sagte sie und fügte sofort hinzu: »Und auch Theo. Aber Theo ist etwas anderes.«
»Inwiefern?«
»Gabi war bei mir von sieben bis er achtzehn Jahre alt war. Dann ging er nach New York, zur Juilliard-School. Theo hörte mit vierzehn oder fünfzehn auf. Er hat aufgehört hier bei mir und hoppla, auf nach New York.«
»Und Sie waren all die Jahre über mit ihm in Kontakt?«
»Mit Gabi? Sicher, all die Jahre. Es war sehr guter Kontakt. Er hat immer geschrieben, hat angerufen, hat mir Besuch gemacht, wenn er in Israel war. Ich habe viele Schüler mit gutem Kontakt, aber mit Gabi ganz besonders.«
»Und mit Theo?«
»Theo ist etwas andere Sache«, wiederholte sie hartnäckig. »Er hat großes Talent, aber nicht für Geige. Nicht, wie es sein soll. Er suchte nicht nach Perfektion. Er konnte nicht. Hatte nicht genug Geduld. Man mußte ihn zwin gen zu arbeiten. Gabi nicht. Er hat zuviel gearbeitet. Theo wollte sofort drittes Violinkonzert von Mozart spielen. Sibelius, auch Sibelius mochte er sehr. Im Unterricht haben wir Reihenfolge. Zuerst Tonleiter und Übungen, dann Bach, dann etwas, was junge Menschen spielen können, Mendelssohn, Saint-Saëns, Kreisler, Paul Ben Haim, Boskovitz. Die sind nicht so schwierig. Können Sie sich vorstellen, wie Theo solch eine Reihenfolge einhalten kann? Sie kennen Theo, ja?«
Er nickte. »Kann man nicht ein großer Geiger und gleichzeitig ein großer Dirigent sein?« fragte er.
»Natürlich kann man«, wunderte sie sich über die Frage. »Auch ein Pianist. Barenboim hat sich gut entwickelt. Seine dritte Aufnahme der Beethoven-Sonaten ist sehr gut. Auch ein großer Dirigent ist er. Keine Frage, ob es möglich ist«, sagte sie unwillig. »Manchmal. Auch Leonard Bernstein ist ein Beispiel.«
»Aber Theo nicht«, vergewisserte er sich.
»Und Sie? Sie sind
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