Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
es auch für romantische Musik gelten? Schließlich gab es in der Romantik schon alle Instru mente ...«
»Nicht genau wie heute. Kein sehr großer Unterschied, aber Bläser und Pauken waren ganz anders als heute. Authentischer Beethoven klingt zum Beispiel ganz anders mit Trompeten und Naturhörnern ohne Ventile. Zur Zeit von Beethoven gab es noch keine Ventile in Trompeten. Und Trommeln waren anders bespannt. Es klang mehr nach großer Militärtrommel. Zum Beispiel kann man das in Militärsymphonie von Haydn hören oder in Neunter Sym phonie von Beethoven. Völlig anders als Klänge von heute. «
»Schöner?«
Sie lächelte und dachte nach. »Manchmal ist viel schlimmer. Schlimm, aber effektiv. Alt-Rhapsodie von Brahms ist eigens für Naturhorn geschrieben. Auch bei Mozart sind die Klänge von Trompeten und Posaunen mehr dark, ja?«
»Dunkel?«
»Vollkommen.«
»Und das ist es, was Gabriel erreichen wollte?«
»Mehr oder weniger. Es ist wie alles im Leben Sache von Quantität. Von wieviel. Wie sehr man fanatisch ist.«
»Und Gabi war ein Fanatiker?«
»Manchmal«, gab sie unwillig zu. »Bei der Missa von Bach zum Beispiel. Wie viele Soli hat er da, vier oder sechs? Das ist absolut unmöglich. Manchmal tötet Pedanterie. Wenn man zum Beispiel Trevor Pinnock hört, ist es nur Ma nieriertheit, ist langweilig. So begräbt er Concerti grossi von Händel oder Corelli, sogar Vivaldi begräbt man so. Schlimmer als jeder Anachronismus von 19. Jahrhundert.«
»Und Gabriel?«
»Manchmal hat er es auch getan«, gestand sie wieder unwillig. »Aber er wurde immer besser. Man braucht viel Sicherheit, viel Ego, um keine Angst zu haben. Denn manchmal ist Spiel auf alten Instrumenten und in alter Technik nur Camouflage für mittelmäßiges, monotones, uncharmantes Spiel.« Sie verzog ihr Gesicht. »Aber es gibt CD von Gabi, Concerti Opus 8 von Vivaldi, das ist sehr, sehr lebendig. Man hört, daß es Vivaldi ist und nicht irgendein Elgar. Es gibt auf dieser Aufnahme barocken Stil und Leben. Mit Geige ist es immer besser, selbst bei fanatischem Historismus, wenn Geiger gut ist, denn Geige ist ambivalenter als andere Instrumente, more complicated.«
»War Vivaldi sein Lieblingskomponist?«
Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Das kann man nicht sagen. Sollte er etwa Vivaldi mehr lieben als Bach? So ist es nicht. Es kommt darauf an, wann, was, woran er arbeitet. Aber diese CD«, sie zog eine CD aus einem Regal, das über einer kleinen Kommode hing, und legte einen Finger auf Gabriel van Geldens Porträt, der dort abgebildet war, »sie ist sehr schön, und es gibt das Concerto ›La tempesta di mare‹, das sehr besonders ist. Und man sieht daran, an Gabis Aufführung, er ist Geiger und Dirigent, welche lyrischen Melodien Vivaldi schrieb. Wieviel Phantasie er hatte. Es ist nicht nur bizarrer Barock, Imitation von Winden und Stimmen der Natur, und wie er Formen und Strukturen und Atmosphäre zaubert. Das kann man auch hier se hen.« Sie legte die CD auf das Bett. »Es ist vielleicht weniger spektakulär als die ›Vier Jahreszeiten‹, welche Sie kennen. Aber es gibt hier sehr wohl dramatisches Konzert wie ›La tempesta‹ und auch eine Feier wie in sechstem Concerto ›I1 piacere‹, was, wie Gabi sagte, übersetzt heißt ›das Vergnügen‹, stimmt es?«
Ihre Lippen bebten für einen Moment. Sie glitt mit einem Finger unter ihren Augen vorbei, als wische sie eine Träne ab, und wurde still. »Ich denke«, sagte sie nach einer Weile, »daß Gabi auf richtigem Weg war, wenn er nicht ... wenn er leben würde, hätte er es geschafft, authentisch zu spielen, ohne fanatisch zu werden. Er war manchmal wunderbare Kombination von einem Künstler von heute und einem Künstler aus 18. Jahrhundert. Wenn es wirklich einen Dialog gibt zwischen den Zeiten, ist das sehr schön. Sie sollten wirklich das Konzert hören«, wieder berührte sie die CD. »›La tempesta di mare‹, denn Vivaldi, weil er aus Venedig stammte, schrieb mit viel Grandeur im Barock-Stil über das Meer. Wenn Sie hören, wie ein Venezianer fühlt über das Meer. Gabi hätte hier in Israel eine Renaissance eingeläutet. Gabi hatte noch so viel zu sagen«, sagte sie trocken und mit angestrengter Beherrschung.
»Über was für eine Überraschung wollte er mit Ihnen sprechen? Denken Sie, es hing wahrhaftig mit Vivaldi zusammen?«
»Ich weiß es wirklich nicht, es hätten so viele Sachen sein können.«
»Ist Vivaldi auch für Sie so bedeutungsvoll und
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