Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
Anfang wird es mir sicherlich schwerfallen. Ich spreche mit ihren Schülern. Ich sehe das. Sie befreien sich mit der Zeit, es ist ... schwer zu erklären ... Man muß sie anscheinend nehmen, wie sie ist, mit ihrem Schreien und all dem.«
»Offenbar funktioniert Erziehung nicht ohne Terror«, lächelte Michael, als er die braune Holztür zu dem engen Gang öffnete und Juwal nachsah, der vor ihm die breiten Stufen hochstieg, während sein Geigenkoffer hin und her schwankte.
Niemand außer ihnen beiden war dort in der Eingangshalle des großen Gebäudes. Auf einem langen Resopaltisch standen eine große Schüssel mit roten Äpfeln, ein Stapel Pappteller mit Apfelschalen und Gehäusen und Pappbecher mit Kaffeesatz.
»Die Pause ist schon vorbei«, sagte Juwal. »Ich habe den ersten Vortrag verpaßt, aber es macht nichts. Jetzt muß ich mich aber beeilen«, erklärte er, und ohne zu warten verließ er hastig das Gebäude. Michael stand in der Eingangshalle, sah durch das große Glasfenster Juwal nach, der über den Trampelpfad lief, bis seine Gestalt hinter der Biegung verschwand. In einem engen Korridor, der von der Eingangshalle nach draußen führte, neben der Toilette, fand er ein öffentliches Telefon. Während er in seinen Taschen nach Münzen suchte, warf er einen Blick in den großen Saal. Von seinem Standort aus konnte er nur einen Teil überblicken. Nur die Wand, an der ein braunes, längliches Regal stand, auf dem ein paar Bücher und Hefte unordentlich verstreut lagen. Plötzlich hörte er Klänge. Zunächst ein Klavier, dann Klavier und Gesang, später auch ein Cello.
»Wo bist du?« wollte Balilati, der besonders verärgert klang, am anderen Ende der Leitung wissen. »Warum hast du kein Handy mitgenommen? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst daran denken? Warum hast du dein Funkgerät ausgeschaltet? Weißt du, wie sehr wir dich suchen?«
»Ich bin gerade angekommen. Ich rufe von einem öffentlichen Telefon aus an«, sagte Michael und betrachtete aus der Nähe eine Photographie von zwei Männern, die vor einem Orchester standen. Er las, daß es Toscanini und Hubermann waren, bei einem Konzert aus dem Jahre 1936. Er schreckte zurück und schaute erneut darauf.
»Hast du schon mit Eli gesprochen? Rede mit Eli! Laßt sie auf keinen Fall aus den Augen. Ich habe Eli gesagt, was er dir genau mitteilen soll. Beide sind jetzt bei ihm. An stelle ...« Balilati verschluckte etwas. »Anstelle von Dalit habe ich einen neuen Mann mitgeschickt. Einen jungen Mann, hast du ihn schon gesprochen?«
»Noch nicht, ich komme gerade an.«
»Er wird dir gefallen, er sieht aus«, kicherte Balilati, »er sieht ein wenig aus, wie du vor mehr als zwanzig Jahren aus gesehen hast. Er ist auch so lang und dürr und hat solche Augen und buschige Augenbrauen, auf die die Mädchen stehen, nur ist er nicht ... er hat nicht ... er ist weniger ... er ist einfacher«, legte er sich schließlich fest. »Ein Anfänger aus einem Moschaw*, ohne viel Tamtam. Ihr seid dort genug, um jedem ständig Personenschutz zu geben. Ich will, daß dein Maestro nicht eine Minute lang allein ist. Er soll auch keine langen Gespräche mit seiner Schwester führen.«
»Ist etwas passiert?« fragte Michael und drehte sein Gesicht nach allen Seiten, denn er meinte, Schritte gehört zu haben. Aber weit und breit war niemand zu sehen, und auch die Musik war verstummt. An ihrer Stelle war ein lauter Diskurs in englischer Sprache aus einem Nebenzimmer zu hören.
»Es sind ein paar Dinge vorgefallen. Eli wird dich informieren. Ich will nicht vorgreifen. Nicht am Telefon. Aber was ich dir schon jetzt sagen kann, ist, daß wir die Kanadierin gefunden haben. Sie behauptet, an besagtem Tag auf gar keinen Fall mit ihm zusammengewesen zu sein. Sie war in Israel, sie war tatsächlich im Hilton, oder wie immer es heute heißt, so hat sie gesagt, aber nicht mit ihm. In die Einzelheiten wird Eli dich einweihen.«
»Hat sie also wirklich die Unwahrheit gesagt?«
»Wer? Dalit?«
Michael schwieg.
»Ja«, sagte Balilati, ohne etwas hinzuzufügen.
»Man muß allem nachgehen, womit sie befaßt war«, warnte Michael.
»Schon passiert«, sagte Balilati, ohne zu diskutieren. »Bei der Kanadierin haben wir es überprüft. Ich selbst habe mit unserem Kontaktmann in New York gesprochen. Dalit hatte sich gar nicht mit ihm in Verbindung gesetzt. Sie hat freimütig alles erfunden. Erspare dir deinen Kommentar. Der Mann in New York kennt dich. Er hat gesagt, ihr habt euch vor ein paar
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