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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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und bereute es sofort, aber sie überging seine Worte. Für einen Moment verachtete er sich, aber dann konzentrierte er sich auf ihre Erklärungen über das Tempokonzept des Barocks, und er versuchte, die Bedeutung der Aussage zu verstehen, daß es auf zweiundsiebzig Schlägen in der Minute basierte.
    »Anscheinend war durchschnittlicher Puls Kriterium«, erklärte Dora Sackheim, »das heißt, normales Tempo war a ndante «, bestimmte sie. »Können Sie mir folgen?« fragte sie, und ohne auf eine Antwort zu warten, fügte sie hinzu: »Bei Durchschnittstempo. Wie zum Beispiel im Menuett, schlägt Puls zweiundsiebzig Mal pro Minute. Ja?«
    Er nickte gehorsam und quälte sich mit der Erkenntnis, daß er sich in der Lebensphase, in der er sich befand, dieses Wissen nicht mehr aneignen konnte. »Ich lerne«, sagte er unbehaglich. »Ich versuche zu lernen, falls das überhaupt noch möglich ist.«
    »Warum soll es nicht möglich sein?« fragte sie interessiert. »Es genügt, wenn intelligenter Mensch ...«
    »Ich bin mir nicht sicher«, warf er ein. »Wenn man es nicht in der Kindheit verinnerlicht hat ...«
    »Das heißt, Sie hatten keine ›Kinderstube‹? Aber Motivation ist auch wichtig«, sagte sie. »Gerade diese Sache ist nicht kompliziert, wenn man waches Ohr hat: Allegro ist auf doppelter Geschwindigkeit aufgebaut, nämlich hundertvierundvierzig Schlägen pro Minute. Und adagio auf der Hälfte, das heißt sechsunddreißig Schlägen pro Minute. Verstehen Sie?« fragte sie und faßte zusammen: »Auffassung von Barock war, daß Musikstück in dieser Beziehung organisch sein soll. Klavier, Pianoforte. Erst am Ende von Leben von Bach, als er sehr alt war, schrieb er ›Wohltemperiertes Klavier‹, ja? Er schrieb am Ende seines Lebens, und erst da entschied er über zwölf gleiche Halbtöne. Eine mathematische, willkürliche Entscheidung, ja?« seufzte sie. »Es ist von alten Instrumenten fast nichts geblieben, wegen Dummheit von Menschen.«
    »Hat man denn Instrumente aus dem 17. Jahrhundert nicht aufbewahrt? Nicht mal in Museen?« wunderte er sich.
    »Nun ja, im 19. Jahrhundert hat man diese Instrumente verbrannt. Und trotzdem gab es welche, die sie aufgehoben haben. Warum? Wegen Bildern, die darauf waren«, und mit giftigem Ton fügte sie hinzu: »Auf die Deckel von Cembalos hat man Bilder gemalt wie ›Die Einschiffung nach Kythera‹ und ›Die Apotheose der Dido‹. All diese schönen Dinge«, sie wedelte mit dem Arm, »Sie kennen sich aus in Geschichte, nicht nur in Geschichte von Mittelalter. Dann wissen Sie vielleicht, daß man 1819 im Conservatoire de Paris, dem großen Institut der Musik, wo es die meisten Instrumente gab, mehr als tausend Instrumente verbrannt hat, für Feuerholz. Größtes Conservatoire von Welt! Und das wenige, was übrigblieb, mußte man wieder bauen. Von vorne. Und so begann historische Musik in den vierziger Jahren mit Rekonstruktion von Instrumenten. Für Rekonstruktion brauchte man Instrumentenbauer, ja?«
    Er befühlte seine Brusttasche. Erschütterung überkam ihn bei dem Gedanken, das Aufnahmegerät könnte ausset zen. Es war ihm klar, daß er später ihre Worte mehrere Male abhören mußte, um in ihnen nach einer zusammenhängenden logischen Bedeutung zu suchen.
    »Aber«, sagte sie jetzt und schwang ihre Hand, die eine frische Zigarre hielt, »es gibt großes Problem mit Realisation dieser Musik.«
    »Inwiefern?« fragte er und befühlte seine Hemdtasche.
    »Es ist so«, sagte sie zufrieden. »Was macht Bach, wenn er einen Triller schreibt? Dasselbe wie Schubert, wenn er einen Moment schreibt?« Und jäh fügte sie hinzu: »Wissen Sie, was ein Triller ist?«
    Er schüttelte verzweifelt den Kopf. Sie stand mit erstaunlicher Flinkheit auf, öffnete die Tür und rief: »Komm einen Moment her, Juwal, bring auch Geige mit.«
    Juwal stand am Eingang, hielt den Geigenkoffer und sah sie mit verwirrter Erwartung an: »Spiel zwei, drei Takte mit Triller, ja?«
    Michael wußte nicht, welches Stück es war. Sie unterbrach Juwal in dem Moment, in dem er schnell einen über flüssigen Schnörkel zwischen zwei Haupttönen, die Mi chael jedenfalls für Haupttöne hielt, ausführte.
    »Das ist Triller, ja? « Sie sah Juwal an, als ob sie sich plötz lich an seine Existenz erinnerte. »Was machst du? Vielleicht holst du dir etwas zu essen?«
    »Ich lese, es ist in Ordnung«, sagte Juwal und packte seine Geige ein. »Sie...«, zögerte er, »dauert es noch lange?« Sein Blick war gesenkt.
    »Nein,

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