Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
dann auch noch die Abteilung mit den Schallplattenraritäten. Man müßte in das Geschäft investieren ... Wir haben keine Wahl ... Inzwischen ... Auf jeden Fall hat Vater das Geschäft nicht verkauft, obwohl er ein paar Angebote hatte ... Er hat keinen passenden Nachfolger gefunden ... Keiner ist ihm gut genug ...« Sie kicherte.
»Sie haben das Cello doch aufgegeben«, wagte er einzuwenden.
Er mußte mehr über sie herausfinden. Hätte er gewußt, wohin dieser Satz führte, hätte er es sich zweimal überlegt, ob er ihn äußern sollte. Vielleicht auch nicht.
Sie antwortete nicht sofort. Als sie sich schließlich zu einer Antwort entschloß, sagte sie zunächst: »Ich habe es nicht aufgegeben.« Und sogleich fügte sie hinzu: »Wie kom men Sie darauf, daß ich es aufgegeben habe?« Sie richtete sich auf und ging in die Küche.
Es verstrichen ein paar Minuten, ohne daß etwas passierte. Er sah sich um, stand auf und ließ seinen Blick von der gegenüberliegenden Wand hinter das Sofa wandern und von dort auf die Küchentür. Er öffnete die Balkontür, reckte sich und atmete die herbstliche Luft ein. Dann faßte er Mut und ging zu ihr in die Küche. Sie stand am Spülbecken – Töpfe und Teller türmten sich darin, und aus mehreren um gedrehten Tassen war eine braune Flüssigkeit geronnen. Der Gasherd wies eingebrannte Flecken auf, als wäre dort immer wieder Milch übergelaufen, die niemand aufge wischt hatte. Der Fußboden war klebrig, und der Wasserhahn tropfte.
Sie hielt ihr Gesicht in den Händen vergraben. Ihre Schul tern bebten. Als sie seine Schritte hörte, nahm sie die Hände vom Gesicht, das trocken und kreidebleich war. Sie blinzelte. »Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich bin schrecklich müde.«
»Wir gehen gleich«, sagte er bestürzt. Wie er sich ihr aufgedrängt hatte!
»Nein, nein, das habe ich nicht gemeint. Im Gegenteil, bleiben Sie, das heißt, wenn Sie bleiben wollen. Ich glaube, ich habe mich schon lange mit keinem Menschen mehr un terhalten. Verzeihen Sie, daß ich es ausspreche, aber das Ge spräch mit Ihnen tut mir gut. Ich will Sie nur nicht ... mit meinen Problemen belästigen. Entschuldigen Sie bitte mein Verhalten, aber ...« Sie verstummte und schien sich zu verschließen. Wie sie so allein neben dem Spülbecken stand, strahlte sie etwas so Einsames aus, daß er sie am liebsten in den Arm genommen und seine Hand auf ihre braunen Locken gelegt hätte. Aber er wagte es nicht, die Distanz zwi schen der Küchentür und ihr aufzuheben.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie wieder. »Es ist mir peinlich, daß Sie das hier sehen ... das ganze Chaos ...« Sie lächelte verlegen und rieb sich die Augen. »Jetzt, wo die Kinder Ruhe geben, fange ich an zu jammern.«
Michael schaute sich um. Hier war tagelang, wochenlang nicht mehr aufgeräumt worden. »Haben Sie denn gar keine Hilfe?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Haben Sie heute überhaupt schon etwas gegessen?«
Sie schien nachzudenken, ließ eine Hand über ihre Haare gleiten und zog die Nase hoch. »Nur eine Kleinigkeit«, gestand sie. »Aber ich habe eine Menge getrunken«, führte sie zu ihrer Rechtfertigung an.
»Und Sie stillen auch noch!« tadelte er sie.
Sie senkte den Kopf.
»Vielleicht sollten wir uns etwas zu essen machen. Wir könnten runter zu mir gehen ...«, schlug er unentschlossen vor, nachdem er sich erneut umgesehen hatte.
»Ich kann Ido jetzt nicht aus dem Bett holen. Wir könnten auch hier etwas essen ... Im Kühlschrank sind noch ...«
»Wenn es Ihnen lieber ist...«, zögerte er. »Wir könnten auch versuchen, hier ein wenig Ordnung zu machen. Ich helfe Ihnen, wenn Sie wollen«, sagte er und horchte mit einem Ohr, ob im Nebenzimmer alles ruhig war.
»Sie schlafen«, sagte sie.
»Machen wir uns an die Arbeit?« fragte er.
Vielleicht würde er es ihr sagen, vielleicht auch nicht. Das schwierigste würde die Begründung sein, für sie und für ihn.
»Ich weiß nicht, ob ich einen Bissen runterbekomme«, sagte sie, als sie ihm zusah, wie er Eier aufschlug und Käse aufschnitt.
»Putzen Sie erst einmal das Gemüse, alles, was wir aus Ihrem Kühlschrank retten konnten«, fügte er grinsend hinzu. »Dann sehen wir weiter. Während Sie die Zutaten für den Salat schälen und kleinschneiden, können Sie erzählen.«
»Erzählen?«
»Warum nicht?«
»Was denn? Was soll ich erzählen?«
»Was immer Sie wollen, vielleicht erzählen Sie mir, warum Sie ein Jahr lang nicht mehr gespielt haben.«
Sie
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