Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
zurück –, erfolge Kunstraub auf Bestellung. Es seien Auftragsarbeiten. »Wie es vermutlich beim Dieb stahl der Uhren aus dem Islam-Museum der Fall gewesen ist. Das macht es so schwer, die gestohlenen Gegenstände wiederzufinden«, hatte er sich hinreißen lassen hinzuzufügen.
»Der Schotte!« stieß Theo aus. »Es war vielleicht der Schotte, der jemanden beauftragt hat, das Bild zu stehlen, das Vater ihm nicht verkaufen wollte.«
»Jetzt dreh nicht durch«, warnte ihn Gabriel, der sich aufrichtete. »Ich habe ihn auch einmal kennengelernt. Wir haben ihn zusammen getroffen, weißt du das nicht mehr? Er ist ein sehr netter Mensch, sehr sympathisch, das waren deine eigenen Worte. Sein Wunsch, das Bild zu kaufen, ist doch nachvollziehbar. Er hat schon die beiden anderen Bilder. Es fehlt ihm nur das dritte. Dieser Schotte kann doch keiner Fliege etwas zuleide tun.«
»Was wissen wir, wer jemandem was zu leid tun kann und wer nicht«, winkte Theo ab.
»Doch nicht der Schotte!« sagte Gabriel beharrlich.
»Erstens«, sagte Theo, »war Vaters Tod wohl ein Unfall. Schließlich bestand offensichtlich nicht die Absicht, ihn zu ermorden, er ist gestorben, weil ...« Er warf Nita, die sich nicht rührte, einen Blick zu. »Er ist erstickt. Wegen dem Tuch und dem Emphysem.« Theo sah Michael an, nahm jedoch sofort die Augen von ihm und erklärte: »Vater litt hochgradig an einem Lungenemphysem. Es gab Tage, an denen er ein Sauerstoffgerät benutzen mußte.« Er sah er neut Nita und dann Gabriel an. »Daran ist er schließlich gestorben. Es gibt einen medizinischen Fachausdruck dafür. Er ist mir entfallen. Der Arzt hat ihn heute nacht benutzt.« Wieder sah er seinen Bruder an.
»Asphyxie«, sagte Gabriel, ohne den Kopf zu heben.
»Der Polizist, Ihr Bekannter«, wandte Theo sich an Michael, »sagte, daß er nicht begreift, warum jemand eingebrochen ist, während Vater in der Wohnung war. Schließlich hätte ein Einbrecher die Sache planen und einsteigen können, wenn niemand daheim war. Ich habe es ja schon gesagt – er hätte kommen können, als Vater beim Zahnarzt war oder im Konzert oder in seiner Loge. Unser Vater war bei den Freimaurern. Einmal die Woche haben sie sich getroffen. Die Treffen fanden mit größter Zuverlässigkeit statt – eher wäre die Welt untergegangen ...«
»Falls er überhaupt beim Zahnarzt war«, bemerkte Gabriel. Theo erstarrte. Nita hob den Kopf von den Knien und sah Gabriel an. »Vielleicht hatte er den Termin abgesagt. Vielleicht hatte er auch gar keinen Termin«, flüsterte Gabriel. Seine Stimme wurde lauter, als er ergänzte: »Vater haßte es, zum Zahnarzt zu gehen. Er wollte doch auch unbedingt das Konzert hören. Das letzte, was er getan hätte, war, vor einem Konzert von uns dreien zum Zahnarzt zu gehen.«
»Es ist kein Problem, das zu überprüfen«, bemerkte Michael.
»Da mußte einer all das durchmachen, um schließlich so zu enden«, deklamierte Theo, als ob er selbst nicht mehr hinter seinen Worten stand, sondern nur einem zwanghaf ten Bedürfnis nachkam, seine eigene Stimme zu hören. »Nach allem, was er durchgemacht hat«, sagte er, stand auf und marschierte mit den Händen in den Hosentaschen weiter. »Und ich dachte, daß er einfach zu schwach war für das Konzert«, sagte er, als er über Gabriel stand. »Wir müssen den Zahnarzt anrufen«, bestimmte er.
»Überlaß das der Polizei«, sagte Gabriel barsch. »Was geht uns der Zahnarzt an. Er ist tot, es zählt nicht mehr. Ich will mich nicht länger mit den Umständen beschäftigen.« Seine Wangen waren eingefallen, unter seinen tiefliegenden Augen zeigten sich Tränensäcke. Seine schweren Atemzüge waren im Zimmer zu hören. Theo beugte sich zu der Zigarettenschachtel, die Michael auf das Kupfertischchen gelegt hatte. »Darf ich?« fragte er. Ohne auf eine Antwort zu war ten zündete er sich eine Zigarette an. Eine Wolke weißlichen Rauchs legte sich über Gabriel, der mit den Händen wedelte, um sie zu zerstreuen.
»Gabi«, sagte Theo unvermittelt, »es gibt etwas, das ich nicht verstehe, vielleicht ... vielleicht sollte ich warten, bis wir beide allein sind. Ich möchte dich fragen ... es ist nicht wichtig.« Er warf einen Blick auf Michael und verstummte. Nita sah beide an. Ihre Augen gingen weit auf, die dunklen Halbmonde unter ihnen betonten ihre helle Farbe. Um die Pupillen, die graublau-grünlich waren, lag ein dünner dunkler Kreis, als ob jemand eine schwarze Kontur gezeichnet hätte, um die Grenze zu
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