Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
historische Geigen. Du kannst es einfach nicht ertragen ...«
»Eine perverse Musik«, schrie Gabriel. »Eine perverse Musik, das ist es, was ich zum ›Tristan‹ zu sagen habe.«
»Hört endlich auf!« schrie Nita und preßte sich die Hände gegen die Ohren. »Hört auf! Es ist noch nicht lange her, erst heute nacht ...« Sie wurde still. Theo senkte den Kopf.
»Diese Scheinheiligkeit«, zischte Theo. »Weißt du, wie viele Menschen hier leben, die die ganze Sache noch inter essiert? Sie sind doch alle tot. Fünfzig Jahre sind vergangen! Wen interessiert es denn noch?!«
»Vater hat es interessiert.«
»Weißt du, daß sie in den letzten Monaten hier im staatlichen Radiosender Wagner spielen? Zwei-, dreimal die Woche, ohne daß jemand eine große Sache daraus machte.«
»Tatsächlich?!« Gabriel stieß einen ärgerlichen Laut aus. »Man hat keine große Sache daraus gemacht?! Beim ersten Mal haben sie etwas aus dem ›Tannhäuser‹ gespielt, und anschließend mußte die Ansagerin sich für die Störung entschuldigen, denn die Sendung war für mehr als eine Minute unterbrochen worden, als ob jemand Sabotage verübt hätte. Irgend etwas ist falsch gelaufen. Sie hat auch darum gebeten, daß die Hörer ihre Anrufe beim Sender einstellen soll ten. So wenig hat es die Leute interessiert. « Sein Gesicht war stark gerötet, während er sprach und Theo ansah, jedoch den Blickkontakt vermied.
Theo zog an der Zigarette. »Er ist nicht meinetwegen gestorben«, sagte er mit schwacher Stimme.
»Du hättest es ihm nicht sagen dürfen«, beharrte Gabriel, aber seine Stimme war versöhnlicher, und sein Blick konzentrierte sich wieder auf den Teppich.
»Ich konnte ihn doch nicht anlügen«, sagte Theo flehend. »Ich bin kein Kind mehr und kann zu meinen eigenen Ansichten stehen. Es ist unmöglich, daß ... Wagner war zu bedeutend. Man kann ihn nicht einfach ignorieren.«
»Von dieser Erkenntnis bis zu einem Bayreuth in Jerusalem ist es noch weit«, sagte Gabriel mürrisch.
»Es ist noch kein konkretes Projekt«, sagte Theo. »Es wird noch eine Weile dauern ...«
»Dann sei vorsichtiger mit deinen Äußerungen«, verlangte Gabriel und hob sein Gesicht, das immer noch stark gerötet war. »Wir müssen über die Trauerwoche zu einer Entscheidung kommen. Ein Begräbnis wird es sowieso nicht geben.«
Michael spürte, wie sich seine Beinmuskeln spannten. Aber Nita sagte: »Es wird sehr wohl ein Begräbnis geben. Ich bin nicht einverstanden mit dieser Sache, daß er selbst seinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung gestellt hat. Er ist ermordet worden. Er wird obduziert. Ich bin nicht einverstanden.«
»Das wird dir nichts nützen, wenn es öffentlich bekannt ist. Wenn er seine Absicht offiziell mitgeteilt hat, haben sie einen gesetzlichen Anspruch darauf«, warnte Gabriel.
»Er hatte es noch nicht amtlich gemacht«, sagte Theo.
»Woher weißt du das?« wollte Gabriel wissen und sah ihm in die Augen.
»Hast du davon gewußt?« Theo legte das Gewicht auf das zweite Wort.
»Ich habe es gewußt«, sagte Gabriel, »er hat mit mir über sein Testament gesprochen.«
»Mit mir auch«, erwiderte Theo. »Daher weiß ich, daß er einen entsprechenden Zusatz anfügen wollte. Die Frage ist, ob Spiegel informiert ist. Ob er ihn überhaupt konsultiert hat. Das ist Sache des Anwalts. Die Familie hat keinen Einfluß darauf. Der Letzte Wille des Toten muß respektiert werden.«
»Ich will, daß er anständig beerdigt wird!« sagte Nita stur. »Und nicht erst in einem Jahr. Mir geht diese holländische Offenheit für die Wissenschaft auf die Nerven. Ich will ... ich bestehe darauf, meinen Vater zu beerdigen«, beharrte sie. »Wenigstens das soll angemessen verlaufen«, murmelte sie und neigte den Kopf. »Er wußte nicht, daß er mit gefesselten Händen sterben würde. Wenn er nicht anständig gestorben ist, soll er wenigstens anständig begraben werden. Wo ist eigentlich Herzl? Wir müssen Herzl informieren!«
Die Brüder sahen zuerst sie und dann einander schweigend an. Michael hörte sein Herz pochen. Wenn es kein Begräbnis gab, wenn es keine Berichterstattung in den Zeitungen gab, wenn Balilati es nicht erfahren würde, würde es vielleicht auch Schwester Nechama nicht erfahren. Wer ist Herzl, wunderte er sich und wagte nicht zu fragen.
»Und noch etwas«, sagte Nita mit entschlossener und ganz und gar nicht hohler Stimme, »ich habe noch etwas zu sagen, von dem ich möchte, daß ihr es euch merkt, ein für allemal! Nun ist
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