Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
die Hände zu hören.
Theo drückte den Zigarettenstummel energisch in dem blauen Aschenbecher aus. Sein Gesicht war jetzt aschfahl. Er verschränkte die Arme. Michael sah Nita an. Sie zog die Arme von den Knien und musterte Theo bestürzt.
»Was soll das? Theo? Wovon redet er?!« fragte sie zittrig.
»Nichts, es ist unwichtig. Laß das jetzt«, versuchte es Theo. »Wirklich, es ist nicht wichtig.«
»Ich will es wissen!« beharrte sie, und etwas Lebendiges strahlte plötzlich aus ihren Augen, als sie sagte: »Ich habe die Nase voll. Ständig verbergt ihr etwas vor mir. Ich bin achtunddreißig und habe selbst ein Kind. Es ist langsam Zeit, daß ihr aufhört, mich länger wie ein Kind zu behandeln!«
»Es ist nicht meine Schuld«, behauptete Theo und sah auf den gebeugten Kopf seines Bruders. »Er hatte es gar nicht von mir, später, als er mich danach fragte, was hätte ich da machen sollen, vielleicht lügen? Hätte ich sagen sollen, daß ich von nichts weiß? « Theo zündete sich noch eine Zigarette an, die er aus der Schachtel gezogen hatte. Auch Michael sehnte sich nach einer Zigarette, aber er wagte es nicht, seinen Platz zu verlassen, um seine Anwesenheit nicht in Erinnerung zu rufen. Damit man ihn weiter ignorierte, bewegte er sich nicht und atmete vorsichtig.
»Woher hat er was gewußt? Ich will wissen, worüber ihr redet? Warum sagt ihr mir nichts?« Das Satzende klang wie ein Krächzen. Ein Anflug von Hysterie lag in ihrer Stimme, die dünner und schriller wurde. Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen, wieder wischte sie sie mit dem Handrücken ab. Sie streckte ihre langen Beine aus und raffte den Rock.
»Es ist nichts«, bereute Gabriel seine Worte. »Wirklich Nita, es ist nichts.«
»Wenn es mit Vater zusammenhängt und mit Wagner und mit dem Emphysem, kann es nicht nichts sein!« schrie Nita. Es war das erste Mal, daß Michael sie laut werden hörte. Ihr Schrei war durchdringend und ein klein bißchen heiser. »Ich habe diese Rolle satt. Ich will es wissen! Theo, wovon redet er? Wovon redet ihr? Antworte mir! Auf der Stelle!«
»Er spricht über ein Interview mit mir in der Times «, sagte Theo sachlich. »Was ich dort gesagt habe, was man als meine Worte zitierte, war, daß es mein Traum ist, daß es in Jerusalem einmal ein Wagnerfestival geben wird und daß man aufhören sollte, ihn zu ignorieren, und daß dieser Traum nächstes Jahr in Erfüllung gehen soll. Es war in einem langen Interview für eine ausländische Zeitung. Ich habe nicht daran gedacht, daß es in Vaters Hände gelangen könnte.«
»Und dann«, betonte Gabriel, »kam es natürlich doch zu Vater, so wie er immer alles mitbekommen hat, und er hat Theo danach gefragt. Kannst du dir Vater vorstellen?! Er erfährt von einem Wagnerfestival in Jerusalem, nachdem man all diese Jahre hindurch im musikalischsten Haus von ganz Jerusalem keinen Ton Wagner gehört hatte. Nachdem er, der Gewalt verabscheut hat, den Mann in Schutz genom men hat, der in den fünfziger Jahren Jascha Heifetz die Hand gebrochen hat.«
»Es war nicht die Hand, und sie war auch nicht gebrochen, und ich bin mir nicht einmal sicher, daß es wegen Wagner war. Ich glaube, es war wegen Strauss, und es war überhaupt Menuhin und nicht Heifetz«, flüsterte Theo.
»Er wollte nicht lügen, er hat Vater die Wahrheit gestanden, er ist ein Mann der Wahrheit geworden«, stieß Gabriel hervor.
»Irgend jemand, ich weiß nicht, wer, hat es Vater erzählt. Na gut, du kannst dir ja vorstellen, wie Vater reagiert hat. Aber das war es nicht, was sein Leben verkürzt hat. Ich kann nicht mein ganzes Leben lang auf das verzichten, woran ich glaube, nur weil es nicht in Vaters Denken paßt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde ich jetzt das Geschäft leiten, er hat meine Meinung einfach nicht akzeptiert.«
»Er mußte seinen Wagner unbedingt in Jerusalem haben«, sagte Gabriel und starrte auf jenen Punkt auf dem Teppich. »Bayreuth hat ihm nicht gereicht. Das Glyndebourne-Festival hat ihm nicht gereicht. Es mußte hier in Jerusalem sein.«
»Dort war ich nicht der Festivalleiter«, verteidigte sich Theo. »Dort habe ich nur den ›Parsifal‹ dirigiert, und ich erwarte nicht von dir, daß du verstehst, warum ich das brauche. Überhaupt, dir fehlt die Phantasie für diese Dinge. Du hast keine Ahnung, was es heißt, den ›Fliegenden Holländer‹ oder den ›Ring‹ aufzuführen. Diese Musik interessiert dich überhaupt nicht, denn sie hat mehr zu bieten als zwei
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