Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
als der rechte war. Und während Ja’ir sich umsah und verwundert ein großes Ölgemälde an der Wand anstarrte, auf dem nichts außer einem roten Fleck auf weißem Grund dargestellt war, und danach das riesige Fernsehgerät, versuchte Michael herauszufinden, ob der verletzte Knöchel verbunden war. Ein Aschenbecher war in dem kühlen hellen, auf Hochglanz polierten Raum nicht zu sehen, also verflocht Michael seine Finger ineinander und fragte Joram Benesch mit leiser Stimme, was mit seinem Knöchel passiert sei. Ja’ir wandte den Blick, doch Joram Benesch hatte bereits hastig sein Bein von der Glasplatte zurückgezogen. »Gar nichts ist passiert«, sagte er in vorgetäuscht harmlosem Ton, »vielleicht habe ich mich am Rasensprenger oder am Zaun angestoßen, nichts Ernstes.«
»Mir scheint es allerdings durchaus etwas Ernstes zu sein«, entgegnete Michael, »und mir ist aufgefallen, dass Sie auch gehörig hinken, offenbar tut es weh.«
Er ließ kein Auge von Joram Benesch, der seinen Blick zur Seite wandte und zwei bunte Illustrierte in Deutsch sowie einen Wollknäuel mit zwei Stricknadeln weiter wegschob. »Zeigen Sie mir doch kurz diese Verletzung, ich verstehe ein wenig davon, vielleicht müssen Sie einen Arzt aufsuchen.«
»Nein, wieso«, protestierte Joram Benesch, »das ist nicht, wirklich ... ich habe nicht einmal gespürt, dass ...«
»Lassen Sie sehen, zeigen Sie’s mir«, drängte ihn Michael, und schon stand er vom Sofa auf und trat auf den Ledersessel zu, in dem Joram Benesch unbehaglich herumrutschte. »Erlauben Sie, ich möchte Ihnen nicht wehtun«, sagte Michael, »könnten Sie einen Augenblick die Socke abstreifen?«
Joram Benesch sah ihn hilflos an. Michael wusste ganz genau, dass der liebenswürdige Ton, den er benutzt hatte, das offensichtliche Interesse am Wohlergehen des Befragten ihm kaum mehr Möglichkeit zu einer Weigerung ließen. Joram Benesch rollte seinen Tennissocken hinunter, und da stand auch Ja’ir von seinem Platz auf und näherte sich ihnen. Michael kniete sich auf den Teppich, mit der gleichen Zuvorkommenheit, die er in seine Worte gelegt hatte, und studierte die rötlich violette Schwellung am Knöchel von nahem. »Das, das sieht ja aus wie ... hat Sie jemand gebissen?«, fragte Ja’ir demonstrativ unschuldig, »da sind Abdrücke von Zähnen, Sie haben keinen Hund, oder?«
»Das ist nichts weiter«, wehrte Joram Benesch unbehaglich ab und rollte die Socke hastig wieder hinauf, »es tut schon fast nicht mehr weh, das ist schon ein paar Tage alt.«
»Wie viele Tage?«, interessierte sich Michael, der dicht neben dem Ledersessel stehen geblieben war, während Wachtmeister Ja’ir seinen Blick nun auf eine große Schwarzweißfotografie heftete, die über dem monströsen Fernsehgerät hing. In dem zarten vergoldeten Rahmen war ein kleiner Junge mit fehlenden Vorder zähnen zu sehen, der mit sehr ernsthaftem Gesichtsausdruck mit beiden Händen eine Medaille schwenkte. »Sind das Sie?«, fragte Ja’ir interessiert und näherte sich dem Bild.
»Ja, mit sechs«, erwiderte Joram Benesch und wirkte, als sei er erleichtert, dass er Michaels Frage nun nicht mehr beantworten musste, »ich hatte eine Medaille gewonnen in einem Rechenwettbewerb, der erste Platz von drei Schulen«, erklärte er, mit einem Mal lächelnd, »sie dachten, dass ich .., dass ich eine Begabung für Mathematik hätte, und meine Eltern ...« – seine Hand schwang nachlässig in Richtung der Fotografie –, »sie lieben es, sich an so was zu erinnern«, und nun lächelte er übers ganze Gesicht und entblößte dabei seine strahlend weißen kleinen Vorderzähne.
»Vor wie vielen Tagen bitte?«, wiederholte Michael seine Frage mit demonstrativer Höflichkeit.
»Ich weiß nicht mehr genau, zwei, drei vielleicht«, murmelte Joram Benesch.
»Wie kann das sein«, wunderte sich Ja’ir, ohne seinen Blick von dem Foto abzuwenden, »ich habe doch erst gestern oder vorgestern mit Ihnen gesprochen, wann war es gleich wieder? Und Sie hatten nichts am Fuß, auch gehinkt sind Sie nicht.«
Joram Benesch wirkte, als habe er seine Sicherheit verloren und verfluche sich dafür, dass er die Falle übersehen hatte. »Ich erinnere mich eben nicht mehr«, gab er wütend zurück, »ich sagte Ihnen doch – es ist nichts. Gestern oder vorgestern hat es nicht wehgetan.
»Entschuldigen Sie«, sagte Ja’ir, »aber da sind doch Abdrücke wie von Zähnen drumherum, das ist nicht nichts, das muss sich ein Arzt anschauen, denn
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