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Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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verrückt nach ihm«, bestätigte Michael.
    Schorr murmelte lächelnd unter seinem dicken Schnurrbart: »It takes one to know one.«
    Michael überging die Bemerkung. »Er hat auch kein leichtes Leben, mit dieser einen Tochter, aber lassen wir das. Du wolltest mir doch eine kleine Geschichte erzählen«, erinnerte er Schorr.
    »Nicht nur dir, euch beiden«, präzisierte Schorr, »das hängt mit dem Fall zusammen, aber ... sie kann auch etwas daraus machen, vielleicht solltest du überhaupt einen Dokumentarfilm über die Adoption der jemenitischen Kinder machen?«
    »Ich bin mir nicht sicher, dass meine Holländer daran interessiert wären«, gab Ada Schorr zur Antwort, und für einen Augen blick klang es, als würden sie einander schon seit Jahren kennen. Er versuchte, sich zu erinnern, ob er schon einmal erlebt hatte, dass Schorr irgendeiner der Frauen, die er ihm vorgestellt hatte, solche Zuneigung entgegengebracht hatte, doch genau in diesem Moment stellte der Wirt eine schmalhalsige Grappaflasche zusammen mit drei Gläsern auf den Tisch.
    »Ich wollte einen«, sagte Schorr erstaunt.
    »Nachdem Sie einen probiert haben, werden Sie noch einen wollen, und Sie ebenfalls«, versicherte der Wirt, »wir reden weiter darüber, wenn Sie probiert haben.«
    »Kommst du oft her?«, fragte Ada, und Schorr zuckte verle gen mit den Achseln.
    »Manchmal, wenn es etwas zum Feiern gibt«, er betrachtete Michael zufrieden und schenkte aus der Flasche in die drei Gläser ein, »und jetzt trinken wir auf das Wohl deiner schönen Auserwählten.« Michael griff gehorsam nach dem Glas, ohne einen Ton zu sagen.
    »Er wird rot«, lachte Schorr, »schaut euch das an, er ist rot geworden!«, rief er und stieß mit seinem Glas an, bevor er trank. »Ausgezeichnet«, bestätigte er, »dieser Wirt, ich wusste, dass man sich auf ihn verlassen kann, oder?«
    Michael trank und nickte anerkennend. Eine junge Bedienung mit entblößtem Bauch und roten Lidern stellte die Kaffeetässchen auf den Tisch, und bevor Schorr den nächsten Schluck nahm, erinnerte Michael ihn hastig: »Du hast uns eine Geschichte versprochen.«
    Die Bedienung wandte sich zum Gehen, und Schorr blickte noch einen Augenblick ihren sich entfernenden nackten Hüften nach, bevor er begann: »Als ich ungefähr sieben war ... lass mich einen Moment rechnen ... ich glaube, sieben oder acht, neunund vierzig war das, also war ich sieben«, sagte er staunend. Er blickte Ada an und sagte: »Ich bin schon ein ziemlich greiser Jude, nicht wie ihr.«
    »Echt antik«, murmelte sie.
    »Lach nicht«, sagte Schorr und zupfte an seinen Schnurrbartenden, »wir sind nicht dieselbe Generation, er und ich« – mit seinem Glas deutete er auf Michael –, »deswegen hat er Achtung vor mir, oder?« Michael lächelte und nickte mit gespielter Ergebenheit. »Jawohl, mein Herr«, murmelte er und fragte sich, ob man es wagen konnte, das Gefühl friedlichen Behagens und der Ruhe, das er die ganze letzte Stunde über empfunden hatte – hauptsächlich von dem Augenblick an, in dem er hereingekommen war und die beiden in angeregte Unterhaltung vertieft vorgefunden und Adas Lachen gehört hatte –, als Glück zu bezeichnen.
    »Jedenfalls«, fuhr Schorr fort, »ich war anscheinend sieben, und ich erinnere mich noch wie heute daran. Wir wohnten schon in Jerusalem, in irgendeinem Haus beim Mandelbaumtor, eine kleine Wohnung, nur zweieinhalb Zimmer, aber unter dem Haus war so eine ... eine Art Einzimmerwohnung, kein Keller, ein Sou terrain, mit Fenstern genau über dem Boden, den meine Mutter nicht vermieten wollte. Es gab damals eine Menge Neueinwanderer, die gerade angekommen waren, und sie ließ sie dort eine Zeit lang wohnen, bis sie sich zurechtgefunden hatten. Alle möglichen Holocaustflüchtlinge, jeder mit seiner Geschichte, die niemand hören wollte, ich erinnere mich an sie, solche wohnten da bei uns in der Kellerwohnung. Zuerst war da ein Junge, allein, ich glaube, er war aus dem Sudan, er hatte sehr dunkle Haut, und er brachte mir transparente Murmeln mit aus der Druckerei, in der er arbeitete, er war Drucker, und seine Fingernägel waren immer schwarz ... und danach wohnte dort eine Familie mit einem dicken rothaarigen Mädchen, ungefähr in meinem Alter, aber sie redete nicht mit mir, das Mädchen, ich weiß bis heute nicht, warum. Am Schluss dann, neunundvierzig, kam ein Paar an. Und ich erinnere mich, dass meine Mutter von ihnen sagte, sie seien ›von dort‹, so sagte man damals, nicht

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