Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand

Titel: Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
ich da. Sie stand also da, meine Mutter, und sagte, ›ein Wort ist ein Wort. Ein Pfand ist ein Pfand‹, und schoss mit einem Satz aus dem Zimmer. Ich rannte ihr hinterher, und ich erinnere mich noch, wie mein Vater ihr nachschrie, ›Mascha, Ma scha‹, aber sie ließ sich nicht aufhalten, stürzte die Treppe hinunter, und ich hinterher, wie ein Schatten, sie bemerkte mich nicht einmal. Dann klopfte sie an die Tür, wartete jedoch nicht einmal eine Sekunde, sondern öffnete sie auf der Stelle, ganz unver mittelt. Die Wohnung dort unten bestand nur aus einem Raum, in dem sie schliefen und aßen und alles, es gab eine Küchenecke und eine Waschecke, alles in einem. Die Toilette war auf dem Hof draußen, eine gemeinsam für zwei Familien, und mein Vater hegte große Pläne, Toiletten drinnen einzurichten, aber das ist schon wieder eine eigene Geschichte. Es waren wunderbare Jahre«, sagte Schorr wehmütig und strich sich mit dem Handrücken über seinen Schnurrbart, »wir waren arm, und es war hart, aber wir hatte so viele Hoffnungen, und wir kannten überhaupt keine reichen Leute. Im gesamten Viertel gab es vielleicht ein Auto, und auch das war ein Laster, aber wenn alle arm sind, ist das zu er tragen. Jedenfalls riss sie die Tür der Wohnung unten auf, und ich sehe dieses Paar, das so gut wie nie redete oder sonst was, dort stehen, neben ihnen zwei so altmodische, mit Schnüren und Gürteln zusammengebundene braune Koffer, und noch ein Paket, und das Baby auf den Armen der Frau. Und die Frau sieht meine Mutter in der Tür stehen und fängt an zu weinen, was heißt hier weinen, ein hysterisches Heulen, sinkt auf die Knie, wirklich auf die Knie, mit dem Baby in den Armen, und sagt zu meiner Mutter alle möglichen Dinge auf Jiddisch, und meine Mutter, diese wirklich weichherzige Frau, macht so«, Schorr breitete seitlich die Arme aus, wie jemand, der die zwei Türbalken auseinander stemmt. »Sie steht im Eingang und lässt sie nicht durch. So, mit beiden Händen eingestemmt. Dabei sagt sie kein Wort, sondern bewegt nur den Kopf von einer Seite zur anderen. Und der Ehemann schaut seine Frau an, zieht sie vom Boden hoch, und auch er hat geweint. Sie haben geheult wie die Kinder, nur mit den Stimmen Erwachsener, so wie ich es noch nie gehört hatte. Und dann ergriff die Frau meine Mutter an ihrer Schürze, zog eine Hand an ihre Lippen, um sie zu küssen, und weinte weiter, die ganze Zeit weinte sie. Meine Mutter streichelte ihr kurz über den Kopf, wie einem Kind, doch gleich danach stemmte sie die Hände wieder in den Türsturz und sagte leise auf Jiddisch: ›Das Kind bleibt da.‹ Ich habe diese Worte in Erinnerung behalten, obwohl ich sie damals nicht verstand, denn sie sagte sie ein ums andere Mal. Erst als ich erwachsen war, habe ich einmal gefragt, was das hieße, und man hat es mir gesagt. Die Frau legte das Baby in die Hände meiner Mutter. Ihr Mann und sie gingen in dieser Nacht fort, wie Diebe, sie verschwanden aus unserem Leben. Später hörte ich, dass sie nach Kanada gefahren sind und dort offenbar irgendein kleines Geschäft betrieben haben, und inzwischen sind beide gestorben. Auch sie sind tot.«
    »Und das Kind? Das Baby?«, fragte Ada.
    »Es ist zu seinen Eltern zurückgekehrt, am nächsten Morgen kamen sie es abholen«, erwiderte Schorr, »aber ich erzähle euch diese Geschichte, denn ... es gab damals grauenhafte Dinge, solche Konflikte, dass ich kaum verstehen kann, wie ... Meine Mutter hat nie über dieses Ehepaar gesprochen, aber danach haben sie die Wohnung an irgendeinen Studenten vermietet, und dann renovierten und vergrößerten sie das Haus, so dass die Toiletten hineinverlegt werden konnten, und der Raum unten wurde das Schlafzimmer meiner Eltern. Mir gaben sie das gute Zimmer oben, das heißt, nicht nur mir, mir und meinen kleineren Geschwistern, wer hätte damals auch an ein eigenes Zimmer für jedes Kind gedacht.«
    »Und dieses Paar? Bekamen sie ein anderes Kind?«, fragte Ada.
    »Ich sagte schon, sie sind weg, sie fuhren nach Kanada«, antwortete Schorr müde, »als ich größer wurde, habe ich meine Mutter einmal danach gefragt, sie hat sie nie mehr erwähnt, und sie erzählte mir dann, dass sie nach Kanada gereist waren und dort ein kleines Geschäft eröffnet hatten, einen Krämerladen oder so etwas, ich erinnere mich nicht mehr genau. Aber das ist schon lange her, inzwischen wurde er krank und starb, und danach starb auch sie.«
    »Und sie hatten kein anderes Kind?«
    »Nein«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher