Ochajon 05 - Denn die Seele ist in deiner Hand
innen zu erwärmen. Als sich die Windschutzscheibe beschlug, hob er seine Hand und wischte sie mit energischer Bewegung ab, doch in seiner Stimme lag keinerlei Lebhaftigkeit, als er sagte: »Also dann, ich werde jetzt nicht in alle Einzelheiten gehen, nur die Hauptsache.« Aber er erging sich trotzdem in den Einzelheiten, eine nach der anderen rollte er sie auf, nachdem er noch einmal mit der Hand über die Scheibe gewischt hatte. »Ich wollte nicht direkt bei ihr zu Hause anrufen«, begann er, »ich hab mir gesagt, gib ihm wenigstens ein, zwei Stunden, ich hätte dich nicht einfach bloß so um halb sechs in der Früh rausgescheucht, ich hab doch schließlich ein Herz, oder?«
Michael schwieg.
»Eine kleine Stadt, jeder kennt jeden, sogar jetzt noch, wie viel sie auch gewachsen ist und das Ganze. Wie auch immer, ich fahre bei meiner Schwägerin vorbei, der Schwester von Mati, ja? Um zwölf in der Nacht hat sie eine Überschwemmung daheim, nicht etwa um zehn, auch nicht um elf, ausgerechnet um zwölf, auf den Schlag, und ich fahr also bei ihr vorbei, weil sie allein ist, und du weißt ja, wie das ist ... ich schau mir also das Rohr an, bloß dass du’s weißt, du wirst die ganze Installation auswechseln müssen, wenn du keinen solchen Ärger haben willst, denn hier sind die Rohre alle innerhalb von ein paar Jahren verrottet, das Wasser ist zu hart ...«
Wie im Traum hörte sich Michael Balilatis ausschweifenden Erguss über das Rohrsystem in der Wohnung seiner Schwägerin an, über die Erfahrung, die er mit Installationen aller Art hatte, und darüber, welche Folgen es hatte, wenn unter dem Becken und den Bodenplatten die Rohre verrottet waren. Er rief ihn weder zur Ordnung, noch unterbrach er seinen Redefluss, von dem er ziemlich sicher annahm, dass er schon irgendwann zu der Sache führen würde, die zu dieser Stunde zwar besser ungesagt bliebe, die er sich aber wohl oder übel würde anhören müssen.
»Sie steht da und hält mir das Rohr hin – der Mensch braucht nun mal Hilfe bei einer so komplizierten Aktion, und sie hat kein anderes Rohrstück, woher sollte sie auch«, holte Balilati weiter aus, »und plötzlich sagt sie zu mir, wie wir so reden, verstehst du, denn das dauert seine Zeit, ein verrottetes Rohr unter dem Waschbecken auseinander zu bauen, und du weißt ja nicht, wo ge nau es ist, jedenfalls sagt sie da zu mir, so mitten unter der Arbeit, ›sag mal, dieser Eli Bachar, der mit dir arbeitet, ist der nicht verheiratet?‹ Und ich schau sie an und sag, ›klar ist der verheiratet, hat zwei Kinder, was ist los, bist du scharf auf ihn?‹ Sie ist natürlich sofort sauer auf mich, nicht, weil sie’s nicht ist, wenn du mich fragst, sie wär schon scharf auf ihn, und gerade deswegen wird sie sauer, aber sie sagt zu mir, ›red kein blödes Zeug, die ganze Zeit meinst du von mir, dass ich auf der Suche bin‹, und glaub’s mir, klar sucht sie, ihr ganzes Leben hat sie gesucht und nichts gefunden, sie hat diese Ansprüche! Oho, und was für Ansprüche sie hat, man könnte meinen, sie sei die Prinzessin von Honolulu. Alles in allem war sie mal die Schönheitskönigin von der Region, und auch das sagt bloß sie, aber wie es immer so geht, seitdem ist viel Wasser den Bach runtergeflossen, das kannst du mir glauben. ›Warum fragst du dann?‹, frag ich sie, und sie – schaut mich von oben bis unten an, ich mit dem Kopf unterm Waschbecken, verstehst du, und sagt zu mir, ›weil ich ihn vor ein paar Tagen in Simchas Cafe gesehen habe, mit einem Mädchen. Und Simcha hat zu mir gesagt, dass die zwar nach nichts weiter ausschaut, als ob sie irgendjemand wäre, aber sie ist nicht irgendwer, sondern Simcha hat gesagt, sie ist eine wichtige Journalistin, und sie hat sie auch mal im Fernsehen gesehen. Wenn du sie ein fach so anschaust, ist sie bloß irgendeine, aber Simcha sagt, wenn die nicht wäre, hätte sie schon längst Pleite gemacht, nur dank ihr hat das Cafe zu laufen angefangen. Seitdem sie eine Reportage über sie gemacht hat, stehen sie jetzt am Abend bei ihr praktisch Schlange, du erinnerst dich, wir sind schon mal dort gesessen, sie hat einen Mohnkuchen, der ...«
Michael barg sein Gesicht in den Händen. Mehr als Verletztheit empfand er eine abgrundtiefe Müdigkeit, die ihn leise dazu aufrief, den Kopf auf seinen Arm zu legen, seine Schulter an die Tür zu lehnen und die Augen zu schließen. Doch er rieb sich heftig über Wangen und Stirn und sagte: »Ich verstehe das nicht.«
»Da meinst du,
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